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ähnlichen Anwendung auf die heiligen Männer und Frauen der griechischen Kirche ein paar einzelne Beispiele nur in dem Kirchspiel Suistama (Pedri) in der Nähe von Sordawala und in Ingermanland (Ilja) aufzuweisen sind. Dieser Umstand scheint daher ein klarer Beweis dafür zu sein, dass nicht nur die fraglichen Gesänge von Westen zu den griechischen Kareliern gekommen sind, sondern auch erst nach der Einführung der katholischen Lehre in Finnland.

Noch ein weiterer Umstand. Man würde es für annehmbar halten, dass die Gesänge, im Falle, dass sie wirklich im russischen Karelien aufgekommen wären, eine grössere Menge von Ortsnamen, welche dieser Landschaft eigentümlich sind, enthalten würden. Aber von diesen finden sich nur ein paar vor, und zwar nur in wenigen Exemplaren, die daher offenbar zufällige spätere Zuthaten sind. In den Varianten auf finnischer Seite kommen diese niemals vor. Dagegen wimmeln die in Finnland, Ingermanland und Esthland entdeckten Gesänge von Ortsnamen, welche diesen Ländern angehören, und, was noch wichtiger ist, dieselben kommen auch in Menge in den Gesängen von der russischen Seite vor. Hier einige Beispiele für die letztgenannten: auch hier wird der grosse Ochse in Tavastland geboren, seinen Kopf schwingt er in Kemi, seinen Schwanz in Tornea, Wäinämöinen setzt sich auf das Hinterdeck seines Fahrzeuges, wie ein Salzsack aus Finnland, wie sein Tabaksbeutel aus Stockholm. — Die Jungfrau Pohjolas wird vom halben Österbotten gepriesen, von den jungen Männern ganz Finnlands. Oft wird auch Schweden (Stockholm), Esthland mit Tanikan linna (zweifelsohne das Tanlinna der Esthen = Reval) u. dergl. erwähnt.

Schliesslich vermisst man in Russisch-Karelien eine ganze Menge epischer und magischer Gesänge, welche in Finnland vorkommen, besonders solche, welche sich auf ältere, rein mythische Vorstellungen beziehen. Solche sind zum Beispiel die Gesänge von der Saat des Sampsa Pellervoinen und der Geburt Wäinämöinens sowie der Zaubergesang bei der Kindesgeburt.

Aus all’ diesem scheint man keinen anderen Schluss ziehen zu können, als dass die Gesänge nicht ihren Ursprung in Russisch-Karelien haben, sondern von Westen hergekommen sind, wahrscheinlich erst nachdem schon das Christentum in Finnland eingeführt worden war. Damit ist freilich noch nicht die Frage gelöst, wo die Urheimat der Kalevala zu suchen sei. Ist unser Gesang, wie gewöhnlich angenommen wird, eine Schöpfung nur des östlichen, karelischen Zweiges des finnischen Volkes, wobei dann jetzt nur der innerhalb Finnlands und Ingermanlands wohnende Teil desselben in Betracht kommen könnte, oder haben auch die Westfinnen in Tavastland und im eigentlichen Finnland sowie die Bewohner Esthlands Teil daran? Für die erstere Ansicht sprechen wiederum zwei hochberühmte Namen: Lönnrot und Ahlquist. Der erstere bezeichnete das von ihm ausgegebene Epos auf dem Titelblatte zur ersten Auflage: Kalevala oder die alten Gesänge Kareliens, wozu er noch in einem besonderen Aufsatze die wenigen im westlichen Finnland entdeckten Gesänge als aus Karelien entliehen bezeichnete. Dieselbe Hypothese hat Ahlquist später mit sprachlichen Beweisen weiter

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_125.png&oldid=- (Version vom 21.11.2023)