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Aber dieselben haben keine Ruhe im Wasser gefunden: wenn nämlich der Vollmond am Himmel steht, so erhebt sich an der Stelle des Gebirgsbaches, wo die Kutsche versunken ist, ein unheimliches Geräusch, das bald zu einem lauten Getöse anschwillt: indem taucht aus der Tiefe des Gewässers der Wagen auf mit Herrn und Kutscher und vier weissen Pferden, welche davor gespannt sind. Kaum aber ist der bleiche Schein des Mondes auf dieselben gefallen, so versinkt alles wieder mit brausendem Getöse in die Tiefe und der wilde tiefe Bach eilt in tollen Sprüngen weiter der Ebene zu.


4. Die Tochter des Schulzen und der Kirchensänger.
(Galizisch.)

In einer Ebene, weit fort in Galizien lag ein Dorf hinter einem grossen Walde. In diesem Dorfe lebte ein Schulze, der eine wunderbar schöne Tochter hatte, von der man aber nur mit Furcht und Grauen sprach, denn sie sollte eine mächtige Zauberin sein.

In diesem Dorfe stand ein Kirchlein auf einem schönen, grünen Hügel. Jedes Kirchlein, und ist sie noch so klein, muss aber Pfarrer und Kirchensänger haben; letzterer muss ein junger, hübscher Bursch sein, an dem jede Menschenseele Freude und Gefallen findet.

Kein Wunder also, wenn die Schulzentochter gerade diesem Kirchensänger ihre besondere Aufmerksamkeit schenkte und jeden dieser Sänger in ihre Netze zu ziehen suchte. Schon mehreren dieser Burschen hatte sie die Köpfe verdreht und dann nie wieder zurechtgesetzt. Die jungen Männer starben nämlich immer bald darauf, nachdem sie sich mit ihr in näherem Verkehr eingelassen hatten.

So kam es denn, dass das Dorf bald keinen Kirchensänger mehr hatte. Keiner konnte und mochte mehr das Amt übernehmen, über das ein so böses Verhängnis waltete.

Da kam eines Tages weit über die Berge her ein Wanderer gezogen, welcher seine helle Stimme von weither erschallen liess. Wie er in die Nähe jenes Dorfes kam, da umringten ihn die Leute, bewunderten seinen Sang und fragten ihn endlich, ob er nicht geneigt wäre, bei ihnen Dienst als Kirchensänger zu nehmen; er werde es bei ihnen gut haben und brauche nur dann und wann ein wenig zu singen. Dem Wanderer leuchteten die Vorteile ein, welche die Stellung mit sich brachte und da er gerade auf dem Wege war, um in der nahen Stadt einen Dienst zu suchen, so kam ihm das Anerbieten hier glücklich in den Wurf. Er schlug also freudig ein, und die wackeren Dorfleute waren zufrieden. Der Wanderer, der über die Berge gekommen war, wurde nun Kirchensänger im Dorfe, in dem dort hinter dem Walde. Er nahm Wohnung bei einem alten Weibe und liess sich das Nachtessen wohlschmecken. Dann zündete er seine Pfeife an und sah gedankenlos in das Feuer.

„Bursch,“ sprach zu ihm das alte Weib, die ihn eine lange Weile aufmerksam betrachtet hatte, „du gefällst mir, und ich muss dich bedauern.“

„Was sagst du Mütterchen?“

„Ach! es ist bei uns so und so im Dorfe,“ entgegnete die Alte,

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_025.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)