Seite:Zeitschrift für Sozialforschung Jahrgang 1.pdf/96

Diese Seite wurde noch nicht korrekturgelesen. Allgemeine Hinweise dazu findest du auf dieser Seite.
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932

des Kapitals immer wieder dem Wachstum der Bevölkerung anpaßt" (Neue Zeit, 1913, Bd. I, S. 872), d. h., daß die wirkliche Bewegung jenem theoretisch errechneten Gleichgewichts- zustand, welcher durch das Wertschema repräsentiert wird, zustrebt.

Im frappanten Gegensatz zu der oben entwickelten Lehre Marxens von der regulierenden Funktion des Durchschnittsprofits und der Produktionspreise, im Gegensatz zur Lehre, daß nicht Werte, sondern erst ihre verwandelte Form, die Produktionspreise, das Gravitationszentrum für die Schwankungen der Marktpreise bilden, schreiben R. Luxemburg und 0. Bauer diese Funktion den Werten zu. Die Verhältnisse des Wertschemas sind bei beiden nicht nur die erste Etappe im Annäherungsverfahren wie bei Marx, sondern sie spiegeln unmittelbar die Wirklichkeit wider.

Aus dieser Divergenz in der Auffassung des Wertschemas bei Marx einerseits und R. Luxemburg und 0. Bauer andererseits ergeben sich auch die weiteren Konsequenzen für die Analyse der Krisenproblematik. Das im II. Band des ,,Kapital" entwickelte Reproduktionsschema mit seinen Werten und verschiedenen – mangels Konkurrenz nicht ausgeglichenen – Profitraten entspricht nicht der Wirklichkeit. Soll die Werttheorie den wirklichen Erscheinungen nicht widersprechen, sondern sie erklären, dann müssen die Werte – im Einklang mit der Marxschen Lehre des III. Bandes des „Kapital" – mit Hilfe der Konkurrenz in konkretere Produktionspreise umgewandelt, d. h. ,,eine Masse von Mittelgliedern" entwickelt werden, die zur allgemeinen Profitrate, schließlich zu den empirisch gegebenen Profitformen (Zins, Grundrente, Handelsgewinn) führen. Indem R. Luxemburg und 0. Bauer der methodologischen, vorläufigen Marxschen Annahme, daß die Waren zu ihren Werten verkauft werden, Wirklichkeitsgeltung zuerkennen, daher das Wertschema als Widerspiegelung der Wirklichkeit betrachten, schalten sie da mit von vornherein aus dem Kreis ihrer Problematik die Notwendigkeit der Umwandlung der Werte in Produktionspreise und weiter in merkantile Preise aus. Sie verzichten auf die Methode der fortschreitenden Konkretisierung der im Schema dargestellten Verhältnisse, auf die Methode zunehmender Genauigkeit des Reproduktionsschemas. Man braucht sich nicht erst stufenweise der Erfassung der Wirklichkeit zu nähern, nachdem doch, nach R. Luxemburg und O. Bauer, das Schema bereits die Wirklichkeit widerspiegelt!

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1932, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_1.pdf/96&oldid=- (Version vom 12.5.2022)