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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932

Wir sehen, der Verkauf der Waren zu ihren Werten gilt nicht für die kapitalistische Wirklichkeit. ,,Der Austausch von Waren zu ihren Werten . . .“ sagt Marx, ,,erfordert also eine viel niedrigere Stufe als der Austausch zu Produktionspreisen, wozu eine bestimmte Hohe kapitalistischer Entwicklung nötig ist" (Kapital, III 1, S. 156). Die Ausgleichung verschiedener Profitraten einzelner Industriesphären (daher auch die Herausbildung der Produktionspreise) gelingt dem Kapital um so mehr, ,,je höher die kapitalistische Entwicklung in einer gegebenen nationalen Gesellschaft ist" (Kapital, III 1, S. 176 und III 1, S. 159).

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Beweisführung R. Luxemburgs und ihrer Anhänger, aber ebenso auch Hilferdings und Otto Bauers von vornherein verfehlt sein mußte, da sie es unter- nahmen, die Krisengesetzmäßigkeit des Kapitalismus an einem Schema zu demonstrieren (oder zu negieren), das nur den Verkauf .von Waren zu ihren Werten kennt, also nach Marx Ausdruck einer ,,niedrigeren Stufe“ der Entwicklung, nämlich der vorkapitalistischen Warenproduktion, ist. Damit ignorierten sie das für den entwickelten Kapitalismus maßgebende Produktionspreisschema, also gerade alle jene Momente, wie Produktionspreise und Durchschnittsprofit, die für die Proportionalität oder Disproportionalität der Kapitalverteilung im entwickelten Kapitalismus entscheidend sind. Die wirklichen, den ganzen Mechanismus regulierenden Kategorien werden vernachlässigt ; berücksichtigt werden dagegen Kategorien, die unwirklich sind (Verschiedenheit der Profitraten) und die – wenn sie verwirklicht waren – „das ganze System der kapitalistischen Produktion aufheben" müßten!

Das Unzureichende eines solchen Verfahrens ist klar. Soll der früher geschilderte Gegensatz zwischen der Werttheorie und den „tatsachlichen Erscheinungen der Produktion", zwischen dem Wertschema und der kapitalistischen Wirklichkeit beseitigt werden, dann darf man in der Analyse des kapitalistischen Reproduktionsprozesses nicht bei dem Wertschema mit seinen verschiedenen Profitraten stehen bleiben, dann muß man es tatsächlich nur als ein ,,theoretisches Prius“ betrachten, d. h. die Werttheorie, also auch das Wertschema nur als den Ausgangspunkt einer Analyse nehmen, von dem aus mit Hilfe einer Reihe von Mittelgliedern die Brücke zu finden ist,

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1932, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_1.pdf/92&oldid=- (Version vom 12.5.2022)