Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932 | |
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Vergegenwärtigt man sich diesen Sachverhalt, dann ist es klar, daß ein Wertschema, in dem alle diese realen Kategorien fehlen, auf denen die wirkliche kapitalistische Bewegung beruht, uns wohl die geschichtlichen Entwicklungstendenzen, also „das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“, wie es Marx bereits im I. Bande des „Kapital" darstellt, zu erkennen erlaubt, aber unmöglich imstande ist, die konkreten Bewegungsformen des Kapitals im Wege des Denkens zu reproduzieren. Eben deshalb sind die aus einem Wertschema gezogenen Schlußfolgerungen über die Proportionalität oder Disproportionalität der einzelnen Produktionssphären nicht beweiskräftig und zumindest verfrüht.
IV. Das Wertschema als ein historischer und theoretischer Ausgangspunkt.
Legt man den erfahrungsmäßig gegebenen Kategorien Produktionspreis, Durchschnittsprofit und allgemeine Profitrate die Rolle des Regulators, der treibenden Macht der kapitalistischen Produktion bei, so drangt sich die Frage auf: welche Funktion erfüllen dann die Werte ? Ist ein auf Werten aufgebautes Reproduktionsschema nicht bedeutungslos, nachdem es doch kein adäquates Abbild der kapitalistischen Warenproduktion darstellt und keine unmittelbare Wirklichkeitsgeltung besitzt? Eine solche Folgerung wäre verfehlt. Die Werte behalten trotz der Realität der Produktionspreise ihre zentrale Bedeutung für den Kapitalismus, und zwar, wie Marx betont, in doppelter Hinsicht:
1. Sie sind einmal das historische Prius, gültig für die Epoche der einfachen, d. h. vor kapitalistischen Warenproduktion der selbständigen Produzenten – Handwerker, Bauern – ,,solange die in jedem Produktionszweig festgesetzten Produktionsmittel nur mit Schwierigkeit aus der einen Sphäre in die andere übertragbar sind" (Kapital, III 1, S. 156), d. h. solange für die Kapitalwanderungen rechtliche oder faktische Hindernisse bestehen, welche die Bildung der allgemeinen Profitrate verhindern (Kapital, III 1, S. 292). Nur in dieser Periode der einfachen Warenproduktion ist der Austausch der Waren zu ihren (Markt-)Werten keine bloß theoretische Annahme, sondern ein tatsächlicher Vorgang in dem Sinne, daß die täglichen Schwankungen der Marktpreise sich um die Werte als Gravitationszentrum drehen (Kapital, III 1, S. 157).
2. In der kapitalistischen Warenproduktion dagegen modifiziert sich die bisherige Funktion der Werte im Austausch: die Waren
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1932, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_1.pdf/90&oldid=- (Version vom 12.5.2022)