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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932

hat teilweise zu einer Übernahme vieler Arten der Freizeitverwendung geführt, die längere Zeit das Privileg der Mittelklassen und sogar der Großbourgeoisie waren[1]. Hier zeigt sich ein Prozeß der Nachahmung in vielen Richtungen, dessen Tragweite sowohl für die Morphologie des Klassenkampfes wie für die gesellschaftliche Kultur überhaupt von einer nicht zu unterschätzenden Bedeutung ist.

Neben dieser Übernahme vieler Gewohnheiten anderer gesellschaftlicher Kreise ist die Wiederbelebung einer Reihe von Arten der Freizeitverwendung zu beobachten, welche in der organisierten Arbeiterklasse längere Zeit als die Vergnügungen der „nicht klassenbewußten Arbeiter“ gegolten haben. Angeln, Kartenspiel, Kegelspiel, Billardspiel, das Halten von Tauben werden auch in den klassenbewußten Arbeiterkreisen mehr und mehr betrieben und sogar als gute Formen der Freizeitverwendung propagiert.

Schwer fällt es, ein positives Urteil über die Bedeutung des Wirtshauses für die Freizeit auszusprechen. In den verschiedenen Ländern und hier wieder für Stadt und Dorf nimmt es eine ganz verschiedene Bedeutung ein. Besonders in Frankreich und Belgien tragen z. B. das „Cabaret“ oder das „Estaminet“ einen durchaus sozialen Charakter, so daß ein regelmäßiger Wirtshausbesuch nicht als minderwertig gilt. Es sind außerfamiliäre Plätze, wo sich die Kameradschaft und das Bedürfnis an gesellschaftlichem Verkehr weiter entfalten. Über den Besuch des Wirtshauses als Freizeitverwendung liegt bisher wenig positives Material vor. Offizielle französische Erhebungen vor ungefahr 10 Jahren haben festgestellt, daß der Wirtshausbesuch seit der Einführung des verkürzten Arbeitstages stark abgenommen hat.

Andere Freizeitverwendungen, die wir hier erwähnen, die aber ihrem Wesen nach auch unter andere Gruppierungen fallen, sind Wandern, Besuch von Museen, Ausstellungen und schließlich — ein Problemkreis für sich — die Beschäftigung innerhalb der Familie. Von großer Bedeutung ist endlich die Tätigkeit in Vereinen aller Art.

IX.

Mit der Umstrukturierung der Freizeitbestrebungen der Arbeiterschaft geht — soweit es sich um festgegründete Organisationen handelt

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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1932, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_1.pdf/269&oldid=- (Version vom 15.1.2023)
  1. „Tausende von Arbeitern, welche früh den Arbeitsplatz verlassen, können im Sommer Wasser und Sonne genießen und lernen ein wenig vom Leben in der freien Luft kennen, das vor einigen Jahren nur das Vorrecht der begüterten Klassen war.“ Bericht des Direktors des Internationalen Arbeitsamtes vom Jahre 1928, S. 257.