Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932 | |
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das Buch jedoch ausgeliehen war. Wieviel Arbeiter Bücher kaufen und was sie an Literatur besitzen, muß noch durch Befragung von Sachverständigen, am besten durch eine besondere Erhebung festgestellt werden.
Die Art der Arbeiterbildung und die Institutionen, welche sich damit befassen, sind in den verschiedenen Ländern sehr stark differenziert. Wir sehen hier von den Ländern ab, in denen die Bildungseinrichtungen unmittelbar unter der Kontrolle des Staates und im Dienste der Staatsziele stehen, wie Italien und Rußland, und unterscheiden zwei Haupttypen, den apolitischen und den politischen. Von einer Arbeiterbildung kann in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten nicht gesprochen werden, da eine Trennung zwischen allgemeiner und Arbeiterbildung generell nicht besteht. Fast alles, was hier unternommen wird, geschieht durchaus unpolitisch; die rein politischen Instanzen, die sich mit Bildung befassen, sind Ausnahmen. Der Individualismus läßt einen bedeutenden Einfluß des Staates auf die Bildung nicht zu. Dieser gibt höchstens Zuschüsse, ist jedoch selbst für den Charakter der Bildungsarbeit nicht verantwortlich. Hier sei noch an die umfassende Bildungsarbeit der Volksbildungsheime und die von kirchlichen Instanzen betriebene Volksbildung erinnert, die sich jedoch nicht ausschließlich den Interessen der Arbeitnehmer zuwendet.
Der politische Typ wird durch die prinzipiell sozialistische Arbeiterbildung repräsentiert, wie sie in Ländern wie Deutschland, Österreich, Holland, den skandinavischen Ländern und Belgien vorherrscht, wo eigene Bildungsorganisationen der Arbeiterklasse bestehen, die als ihren Endzweck ausdrücklich die Herbeiführung einer sozialistischen Gemeinschaft angeben. Mit der Vergrößerung der Zahl der Ämter, die von Vertrauensmännern der Arbeiter-Organisationen besetzt werden, wird jedoch auch diese prinzipiell sozialistische Bildungsarbeit mit allgemeinen Erziehungsabsichten vermischt, die nicht unmittelbar mit sozialistischen Zielvorstellungen zusammenhängen (Ausbildung von Vollbürgern, guten Gewerkschaftsfunktionären und Vertretern in öffentlichen Instanzen). Zu bemerken ist hier noch, daß viele Arbeiten, die von Bildungsinstitutionen verschiedener Richtungen unternommen werden, bei ihrem neutralen Charakter ebensogut von einer neutralen Stelle aus gemacht werden könnten. Jedoch herrscht allmählich die Auffassung vor, daß auch diese neutrale Arbeit am besten im eigenen Kreise, in der eigenen Organisation mit ihrer besonderen Sphäre gedeiht.
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1932, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_1.pdf/267&oldid=- (Version vom 15.1.2023)