Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932 | |
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Wenn theoretisch drei verschiedene Motive angenommen werden können (negativ, unbestimmt und positiv), so ist eine Korrelation zwischen Kürzung der Arbeitszeit und einer bestimmten Verwendung der Freizeit nicht zu verkennen. Die beiden Faktoren wirken unmittelbar aufeinander ein.
Obwohl im allgemeinen angenommen werden kann, daß gesetzliche oder sonstige Maßnahmen, welche auf Besserung der Lebensverhältnisse solcher Schichten hinzielen, auch mit Zustimmung dieser Schichten, ja ganz bestimmt auf ihr Drängen zustande gekommen sind, so ist das Bild, das nach der Erreichung dieser Ziele sich herauskristallisieren wird, immerhin unsicher. Insbesondere trifft dies auf die uns hier interessierende Frage zu. Erst dann, als die Arbeitszeit gekürzt wurde, wurden die großen Probleme, wie die Freizeit zu verbringen sei und welche Tendenzen sich bei der großen Masse offenbaren, aufgerollt. Die psychologischen Vorbedingungen für eine konstruktive Freizeitverwendung mußten von den führenden Instanzen noch geweckt werden.
Die Differenzierung in der Art der Freizeitverwendung ist als eine Folge vieler einzelner oder in gegenseitigem Zusammenhang auftretender Faktoren zu betrachten. Sowohl nationale wie anthropologische, geographische und allgemeinkulturelle Faktoren spielen hier eine wesentliche Rolle; von der Auffassung über die Aufgaben des Staates hängt es ab, ob der Staat auf dem Gebiet der Freizeitverwendung als absolute Herrschermacht auftritt oder man alles dem freien Spiel der Kräfte überläßt.
Die Möglichkeiten der Freizeitverwendung sind im absoluten Sinn unbegrenzt, ihre Ausnutzung ist jedoch letzten Endes durch die bestehende Produktionsweise und die gesellschaftliche Struktur bestimmt. Nirgends stärker als bei der Freizeitverwendung kommt es darauf an, inwieweit die den Menschen innewohnenden Triebregungen und geistigen Bedürfnisse bereits in dem Arbeitsprozeß selbst teilweise oder völlige Befriedigung finden oder, indem sie in ihm ungesättigt bleiben, auf andere Weise befriedigt werden müssen.
Auch bei der auf dem Gebiet der Freizeitverwendung anscheinend vorherrschenden Willkür muß nach einem Kausalzusammenhang zwischen Produktionsweise und Betätigung in der Freizeit gesucht werden. Die analytische Sozialpsychologie steht hier noch vor einer großen Aufgabe. Hat sie sich doch mit der Frage der Entstehung der physischen, psychischen und geistigen Bedürfnisse der Arbeiterschaft zu befassen, und zwar im Zusammenhang einerseits mit der vorhandenen
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1932, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_1.pdf/255&oldid=- (Version vom 14.1.2023)