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Die Geschichte des Schicksalskindes kommt in der Volkstradition, besonders in den zusammengesetzten Texten, nur in gedrängter und verhältnismässig späterer Form vor. Ihre Varianten hat Aarne in seinem Buche sorgfältig zusammengestellt und analysiert. Ohne uns hier mit den Ergebnissen dieser fleissigen Arbeit näher zu befassen, wollen wir unsere Aufmerksamkeit dem anderen Stoffe, der überseeischen Reise zu dem übernatürlichen Wesen, zuwenden.

Dieser Stoff hat in den europäischen volkstümlichen Versionen den Mordanschlag des Schwiegervaters, welcher sich in der Dâmannaka-, Čandrahâsa- und Čampakageschichte sowie in dem türkischen Roman am Schluss befindet, ersetzt. Der reiche Mann schickt den Liebhaber oder Gatten seiner Tochter, nach dem misslungenen Mordversuch mit dem Todesbrief, mit einem (gefährlichen) Auftrage zu einem übernatürlichen (bösen) Wesen, in der Hoffnung, dass derselbe von dieser Fahrt nicht mehr zurückkehren wird. Der Jüngling trifft unterwegs verschiedene, durch schweres Unglück heimgesuchte Städte: ein Lebensbaum welkt, ein Lebensbrunnen versiegt, Prinzessinnen liegen krank darnieder, eine Prinzessin ist verschwunden usw. Ein Fährmann (ein Weib, ein Wassertier) setzen den Helden an das andere Ufer des Meeres (des Flusses) über. Der Held verspricht den Bedrängten, das übernatürliche Wesen nach einer Abhilfe zu fragen, und wird auch von dem Fährmann (dem Weib, dem Wassertier) nur unter der Bedingung hinübergebracht, dass er für ihre Not ein Mittel erfragen werde (wie lange der Fährmann, das Weib noch ihren Dienst verrichten müssen, wie dem leidenden Tiere geholfen werden kann). Der Held kommt zu dem (bösen) Wesen (wird von dessen Frau oder Mutter versteckt), richtet seine Aufträge aus, erhält die Antworten und kehrt, auf der Rückreise überall Hilfe spendend und mit Geschenken überhäuft, glücklich zurück. (Die zahlreichen Variationen und Zusätze sind von Aarne übersichtlich zusammengestellt worden.)

Aarne unterscheidet in den volkstümlichen Texten dieses Stoffes drei Haupttypen (S. 124–132). In Asien und im Südosten Europas begibt sich ein armer Mann zu Gott oder zu dem Glück, um Linderung seines harten Schicksals zu finden. Weiter im Osten Europas (und in einem westsibirischen Texte) ist hauptsächlich die Sonne das Ziel der Reise, und ihr Zweck ist eine die Sonne betreffende Frage. Die Antwort der Sonne stellt manchmal einen Vergleich auf zwischen der Wanderung der Sonne am Himmel und den Altersstufen des menschlichen Lebens. Im westlichen Europa wird die Reise zu dem bösen Wesen meist unternommen, um drei Haare von ihm zu holen. Das böse Wesen ist ein Vogel, ein Menschenfresser, ein Drache usw.; in einer besonders zahlreichen Gruppe von Texten soll der Held die drei (goldenen) Haare des Teufels aus der Hölle holen.

Empfohlene Zitierweise:
Fritz Boehm (Hrsg.): Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 29. Jahrgang. Behrend & Co., Berlin 1919, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_des_Vereins_fuer_Volkskunde_29_032.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)