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übereilte Superklugheit, ihnen diesen Geschichtsanfang bestreiten zu wollen, weil die paar Jahrhunderte ihres historischen Umlaufs zu kurz erscheinen, mit den Jahrtausenden des unsrigen gemessen. Wo würden denn unsere paar Jahrtausende bleiben, wenn die jetzt so laut auf Millionen und Myriaden von Jahren erhobenen Ansprüchen beglaubigt werden sollten? Kein Volk tritt als deus ex machina in der Geschichte auf, es wurzelt stets auf früheren Stämmen, aber der neue Glanz einer bedeutungsvollen Epoche stellt leicht die dunkle Vorgeschichte in den Schatten, so daß sie gänzlich vergessen wird. Die Geschichte Dahomey’s stellt den Gründer Abomey’s voran und weiß nichts von den früheren Völkern im Lande, obwohl sich diese zu der in Afrika parallellosen Culturstufe der Knotenschrift erhoben hatten; die birmanische Geschichte setzt mit der Einwanderung der Sakya ein und negirt zwar nicht die Eingeborenen, kümmert sich aber nur um die Genealogien des Fürstengeschlechts, die als auf fremd und immer fremder werdende Ferne zurückgreifend sich bald in die mythischen Nebel himmlischer Herkunft verloren. Die für uns zweite Epoche der Griechen öffnet ein halbes Jahrtausend nach Troja’s Zerstörung sowohl, wie der damaligen Cultur, und dankt in einer neuen Emporarbeitung aus dem stattgehabten Sinken ihre Verknüpfung mit der vorangegangenen einigen Versen, deren historischer Gehalt eine vielfache Deutung zuließ, wie die an, der Champagne oder Flandern entsprungene, Fürstengeschlechter anknüpfenden Sagen der Morea unseren Roland nach Bursa oder in den Caucasus versetzen, Hector und Andromache in Ἀρτοῦρος und Ντζενέβρα aufleben lassen, oder Diomedes und Glaucus im Πρεςβυς Ἱππότης und Γαούλβανος, Friedrich (Berderichos als ägyptischen König) und Belthandros, Sohn des römischen Kaisers Rudolf, mit Chrysantza, Tochter des Antiochus M. zusammenbringen. Als damals auf’s Neue neue Staaten aus dem einst klassischen, aber fast jedes klassischen Zeichens beraubten Boden von Hellas hervorgingen, hätte hier ein neuer Geschichtsanfang gegeben sein können, wenn nicht die schriftlich niedergelegten Denkmale Europas die Gelehrten der alle Länder dieses Erdtheils verbindenden Kirche befähigt haben würden, die Specialgeschichten gegenseitig zu rectificiren und jede gehörigen Ortes einzuordnen. Wo solche Doppelprobe wechselsweiser Controlle fehlt, schwebt deshalb auch Alles in der Luft, wie bei den scandinavischen Geschichtssagen, und bei schriftlosen Völkern überhaupt, die trotz des geübtesten Gedächtnisses über eine beschränkte Zahl von Generationen nicht hinauszuzählen vermögen. Die Chinesen haben durch frühe Erfindung ihrer Buchstabenschrift ihre Dynastien auf’s Beste geordnet, bei den Indern, die erst spät zu schreiben begannen, stürzt in den Puranas Alles auf das wildeste durcheinander, und während die Mexicaner aus ihren Hieroglyphen manche Periode zu markiren vermögen, wird

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_492.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)