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die schön- und vollbelaubten Riesen der Wälder das mächtige Gewölbe schließen und ihre prachtvollen Blumentrauben hoch und frei über allem Schatten auf der grünen schwebenden Fluth im heißen Strahl der Sonne baden; Bäume aus den Gattungen der Tiliaceen, Sterculiaceen, Clusien und Malpighiaceen und jene, den nordischen und gemäßigten Zonen ganz unbekannten Formen der Malvenbäume. Prangende Wasserrosen scheinen die Zweige der Gustavien umschlungen zu halten, so sehr gleicht die äußere Form ihrer das Auge fesselnden Blumen jener der Nymphaceengewächse; und in den herabwallenden, dichtverschlungenen Saum der Wälder weben rankende Winden ihre leuchtenden Farbenfäden ein und lassen ihre hauchzarten Blumenglocken im heitren Spiel der Lüfte schwingen.

Kein Juwel zwar in dem strahlenden Brilliantschmuck der Tropennatur, noch irgend ein Stern oder Perle in der Reihe der Städte mittelmäßigen Ranges, hat Maracaibo dennoch seine eigenen Reize als Stadt, wie als tropischer Erdenfleck; Reize, welche die Contraste schaffen, die hier in den kraftvollsten Zügen, den entschiedensten Tönen der tropischen Naturerscheinungen aneinandergelegt sind. Da ist das Wasser – dieses mystisch bewegende Landschaftselement – in seiner ganzen weichen Zartheit und wuchtvollen Kraft, in dem stimmungsreichsten und reinsten Schimmer seiner tiefen, geheimnißvoll ergreifenden Naturpoesie, eingebettet in eine Erdoberfläche, die alle Typen des tropischen Pflanzenwuchses trägt. Da ist die von überschwänglicher Fülle des Lichts umflossene Erde, hier hinabtauchend in das einsaugende, auflösende Landschaftselement, dort verschlungen von der titanischen Wachsthumskraft ihres eignen, mit endlosen Keimen geschwängerten Schooßes. Da ist das magische Licht- und Farbenspiel der Luft über Wasser und Erde; über quellenarme Wüsten und Savannen das sanftgewiegte Kuppeldach der Palmen, mit glanzumflossenem Scheitel und lautlos verschlossenem Schatten auf schlanken, schwankenden Säulen ruhend; über quellengespeisten Strömen das dicht und tausendfach in einander verschlungene Waldgewölbe. Rings um die Lagune, angelehnt an die üppigsten Uferlandschaften, schwimmen malerisch auf dem Wasser die Pfahlhütten eines fremden und fremdartigen Volkes, das unbeweglich, wie ein starrer Metallguß, in der Form und dem Geiste, dem Wesen und der Maske, Kind und Greis zugleich, in seiner Entwicklungsphase verharrt; die Kindheitsstufe der Menschheitsentwicklung und die alternde, naturentfremdete Civilisation auf demselben socialen Boden und in demselben Luftkreis neben einander gelegt. Die Stadt aber als solche schließt in sich ein den Besitz der Blüthen und Früchte der Civilisation: Freiheit der Sitte, Geist, Anmuth, materielle Lebenserleichterungen

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_451.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)