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und scharfsinnigen Diskussionen, man balancirt überall auf der Degenspitze der spirituellen Mensur; geistreiche Ausfälle in „eleganter Hiebweise“ schwirren stets in der Luft, und die ceremonielle Begegnung spitzt sich noch mehr zu in der Sucht, den Nimbus spiritueller Vornehmheit und Reserve zu behaupten. Da tanzt denn die deutsche ehrliche Biederkeit und, was sich nur zu oft selbsttrügerisch unter diesem tugendhaften Aushängeschilde verbirgt, die flegelhafte Rücksichtslosigkeit häufig komisch und plump genug auf dieser Spitze herum.

Der Maracaibarer genießt aber unter seinen Nachbaren noch eines anderen, weniger ehrenvollen Rufes, man beschuldigt ihn der Händelsüchtigkeit und Unzuverläßigkeit. Die Tugendhaftigkeit und Pflichttreue der Frauen aber findet lautes Lob. Jedenfalls geht ein Zug der Distinction durch die Gesellschaft Maracaibo’s. Die übrigen Städte des Landes beschäftigen sich viel mit ihr und legen Gewicht auf ihre Aeußerungen. Die Männer bis zu der entfernten – an schönen Frauen reichen – Hauptstadt fühlen sich sympathisch angesogen von den Frauen Maracaibo’s. Ich habe Leute – Creolen und Deutsche – in der Provinz Carácas mit vieler Wärme und Zuneigung von Maracaibo sprechen hören, und ich kann meinen eigenen Antheil daran nur bestätigen, denn der Aufenthalt daselbst hat mich die Feinheiten und den geläuterten Geschmack der hispano-amerikanischen Bildung, die sich im Ganzen nur zu sehr in geschmacklose Schwülstigkeit und prahlerische Oberflächlichkeit verliert, schätzen gelernt. Gleichfalls zeichnet daselbst auch die deutschen Kreise oder den deutschen Kreis eine viel festere und einträchtlichere Geschlossenheit, sowie eine gemüthvolle, allen Dünkels und hochmüthiger Rücksichtslosigkeit baare Umgangsweise unter sich und mit den Einwohnern des Landes, dessen Gäste sie sind, vortheilhaft vor dem gewöhnlichen Verhalten der Deutschen in den anderen Haupt- und Hafenstädten aus. Eine günstige Einwirkung des deutschen Elements auf das einheimische ist in Maracaibo nicht zu verkennen; es ist durch den gewinnenden Charakter, den es angenommen, eine sittliche Macht geworden, welche einen bestimmenden und vortheilhaften Einfluß ausübt auf den individuellen wie gesellschaftlichen Charakter der Lagunenstadt, während anderswo dem deutschen und fremden Einfluße nur zu oft taktlose Anmaßung und hochmüthige Verschrobenheit im Wege stehen und die verletzte nationale Eigenliebe zwingen, sich demselben zu verschließen.

Jeder neue deutsche Ankömmling findet ein offenes, vertrauensvolles Entgegenkommen und wird als ein neues Glied in der deutschen

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_442.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)