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gesunder und erfrischender als die der Stadtseite gehalten wird, da der Nordwind sie besser bestreichen kann. Während die Herren ihren Spazierritt zu jenem Kokosschatten lenken, lassen die Damen sich über das stille Wasser hinüber rudern; in einer halben Stunde legt ein Segelboot den Weg zurück. An dem Sonntage pflegen die alleinstehenden jungen Leute in dem gastlichen Schatten der Palmen einige Stunden der Erheiterung und Erfrischung zu suchen; man findet dort herzliche Aufnahme und deutsche, gemüthsfrische Unterhaltung. Die innere Einrichtung der beschränkten Wohnlichkeit ist bei aller Einfachheit doch komfortable: man findet Bücher, Bilder, Kunstwerke, anheimelnde deutsche Bildung; die Pianinos führen die Tonwerke deutscher Meister an das Gehör und in das Gemüth, das – nach langer Entbehrung aller deutschen Wort- und Sangeslaute in wilder, tiefer Waldeinsamkeit – unter jenen ergreifenden Klängen seinen Gottesdienst feiert. Friedliche, festliche und feierliche Stille herrscht unter dem Palmenschatten, oder es raunt leise das vom Spiele der Sonnenlüfte gewiegte Blatt auf den schlanken, himmelanstrebenden, sanftschwankenden Säulen wie Orgelton durch Domeshallen. Badehäuser winken aus der mystischen Tagdämmerung unter dem grünen Gewölbe hinein in den plätschernden See; sie gewähren, wenn auch kein kaltes, doch momentan erfrischendes Bad; und von dem Allen verscheucht deutsches Wort und deutsche Weise die Vereinsamung auf fremdem Boden. Zwar sind die deutschen Männer – wenigstens die, welche während meiner Anwesenheit im Stande der Ehe lebten – mit Kreolinnen, meistens Inselkreolinnen verheirathet; nur eine einzige deutsche Frau war hineingetreten in die fremde Welt; aber auch jene, auf ihren Inseln mit englischer Sitte wohlbekannten Frauen schmiegen sich elastisch dem deutschen Wesen an und fügen in dasselbe schmückend und anmuthig beschwingend das holde Wiegengeschenk des südlichen Himmels, die Grazie ein.

In Gegenden, welche die Natur in eine üppigere Schönheit eingekleidet, möchten jene Landsitze auf dem schmalen Palmenufer (ich bedauere, daß mir der Name entfallen [Haticos, Red.]) vielleicht nur gering geachtet werden; für Maracaibo aber sind sie von großem Werthe; sie gewähren dem Auge das einzige, die nackte Erde umschlingende Grün, den einzigen schattigen und einigermaßen erfrischenden Aufenthalt im Freien und einen Horizont, auf welchem das licht und gluthgesättigte Auge ausruhen, in dem es ausstrahlen, erfrischend hinabtauchen kann.

Darin, in diesem wohlthuenden Contraste der erfrischenden Ruhe mit der ruhelosen, zitternden Lichtfarbengluth liegt auch das Fesselnde und Einschmeichelnde der Aussicht von dem sonnenheißen Hafenstrand auf den gegenüberliegenden schattenspendenden Palmenstrand. Ist

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_439.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)