Seite:Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin V 438.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Es würde mithin ein selbstmörderisches Unterfangen der natürlichen und erlaubten weiblichen Eitelkeit und Schonungsliebe sein, den zarten, nicht selten strahlenden, aber immer wohlgepflegten Teint des reich dotirten Antlitzes solchen verderbenschwangern Licht- und Gluthstrahlungen des heißen Sandes auszusetzen, und da weder eine lockende Umgebung, noch großstädtische Mode und Sitte, noch ein wohlthuendes, ja nur ein duldsames Klima sie aus dem Hause lockt, so bleibt die Frau im Hause. Um die Frau aber konzentrirt sich das Leben in letzter Instanz doch immer in seinen Aus- und Rückstrahlungen. Wer am Tage auf der Straße nichts zu thun hat, der bleibt zu Hause, in seinem kühlen Geschäftsgewölbe, den luftigen Comtoirs, den schattigen Galerien des Patio. Die umherflatternden Tagfalter kennt die Gesellschaft Maracaibo’s nicht, denn das Klima und die landschaftliche Umgebung verhindern absolut deren Entwicklung.

Nur am Abend, wenn die Sonne ihre glühenden Pfeile niedersenkt, oder in einer jener sinnberückenden mondhellen, magischen Tropennächte drückt wohl hier und da eine zarte, luftig-weiß umhüllte Gestalt ihre leichte Spur in den warmen Strandsand ein, an dem Arme des Cavaliers gleitet sie schimmernd, wie ein wandelnd Südgestirn auf Erden, flüchtig, wie die rauschende, blinkende Welle zu ihren Füßen, an den Wellen der Lagune vorüber. Aber auch in den späten Nachmittags- und Abendstunden schlüpft das fashionable Leben Maracaibo’s nicht, wie in den andern Städten des Landes, besonders lebendig und strahlend unter den freien Himmel aus. Reitende Damen sieht man gar nicht; das Rollen der Equipagen ist noch ein unbekanntes Geräusch; jener blendende, glänzende Korso der Schönheit und Bewunderung, dessen klassischer Boden der heiße Süd, hat in Maracaibo noch nicht die Schwelle des Salons überschritten. Nur die großen Kaufleute, die sich den für Maracaibo nicht unbedeutenden Luxus eines Reitpferdes gestatten dürfen, eilen nach dem Schlusse der Comtoirs und der beendeten Mittagsmahlzeit in den Sattel der im Hofe harrenden Rosse; das gewöhnliche Ziel der Cavalkaden ist ein Ritt um die Hafenbucht.

Die jenseitige südliche Seite der Bucht ist von einer Reihe kleiner Landsitze umsäumt, deren einfache, kleine Häuser, unter dem Schatten von Kokospalmen geborgen, sich gleich einem langen Dorfe längs des Strandes bis zu einem, in den Außensee vorspringenden, nackten Kap hinziehen; die Kokospalme legt das einzigste, schützende und erfrischende Grün um die nackte, glühende Sandwiege der Lagune. Begüterte deutsche und kreolische Kaufmannsfamilien nehmen gewöhnlich ihren abendlichen und nächtlichen oder auch periodisch einen längeren ländlichen Aufenthalt an jenem Palmufer, dessen Luft für

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_438.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)