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Charakter; kahl, sandig, flach, formen- und schattenlos dehnt sich die Küste von Maracaibo und der Halbinsel Paraguaná in das Meer hinein; dieselbe flache Ebene erstreckt sich vom Westabhange der Küstenkordillere bis zu dem Süd-Ostrande der Lagune; aber hier schwellt und wälzt sich, wie die flüssige, nasse Fluth zu ihren Füßen, die Vegetation in gewaltigen, sich überstürzenden grünen Laubfluthen über das heiß durchkochte, Fieber und Insekten brütende, zeugungsmächtige Sumpfufer, weit über das angeschwemmte Land hinweg bis in den grundlosen See hinein.

Nach gerade 48 Stunden lief die Clara Rosa Sutil nach einem zurückgelegten Wege von etwa 90 Meilen bei aufgehendem Vollmonde von leichter, sanfter Brise getragen, auf spiegelklarem Wasser stolz und friedlich in den Hafen von Maracaibo ein. Noch rang das große Gestirn des Tages mit dem größten Gestirne der Nacht um den Sieg seines Lichtes; doch bald durchfluthete das weißleuchtende Licht des Nachtgestirnes in dicken Strahlenbündeln die Dämmerung, und während im Westen sich die letzte Untergangsgluth des Sonnentages verzehrte, schwang sich im Osten der Sternentag in immer weißer fluthendem Lichte unendlich majestätisch empor. Das Menschenauge schlürft und schlürft und trinkt sich doch nimmer satt an dem himmelanragenden feierlichen Frieden der Tropennatur! Unter solchem Einflusse ward der erste Eindruck von Maracaibo vom Schiffsdecke aus vielleicht etwas ideal gefärbt; die stille, im weißen Licht der Sterne schwimmende Spiegelfläche des Wassers und die weich und balsamisch über diese stille Fluth hingleitende Sommernachtsluft: Sterne oben, Sterne unten, Licht in Licht quellend aus tiefer Sabbathstille der Natur; die nahe Stadt mit ihren durch die Nacht vergrößerten Umrissen magisch in das Traumlicht der Nacht hineingezogen, das Plätschern der einschlagenden Ruder geräuschlos hin- und hergleitender Boote in dem funkelnden, Blitze werfenden Wasser; die heißen Schläfen berührt von wahrnehmlosen, kühlenden Odemzügen, und die Brust, im Vollbesitze der empfänglichen Jugendkraft, nach der Schwere des Tages in tiefen, vollen Lebenszügen aufathmend: – das sind Einflüsse, die sich einer empfänglichen Seele mit unvergeßlichen Eindrücken einprägen.

Ich blieb die Nacht an Bord, ebenso ein Franzose, der, ohne jeden Anhalt und ohne Kenntniß eines einzigen Wortes aus einer anderen als seiner Muttersprache, bis nach Bogotá in das Innere des Landes hinaufgehen wollte; mit meinen ebenfalls noch spärlichen Brocken der spanischen Sprache, die ich mir bisher angeeignet, suchte ich ihm beim Landen, Unterkommen und der Weiterreise einigermaßen behülflich zu sein. Wir waren sieben Passagiere an Bord und gehörten

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_426.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)