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XIV.
Schreiben des Freiherrn Ferdinand von Richthofen über seine Reisen zur Grenze von Korea und in der Provinz Hu-nan.


Schanghai, den 28. November 1869.

Die Unterbrechungen zwischen meinen einzelnen Reisen im Innern China’s sind gewöhnlich kurz. Meine Zeit ist dann so in Anspruch genommen, daß es mir kaum möglich ist, längere briefliche Mittheilungen über das Alltägliche und den Verlauf meiner Reise hinaus zu machen. Ich will nun versuchen, Dir hin und wieder einige aphoristische Details über einzelne der von mir besuchten Orte zu schicken. Vielleicht findet sich darunter eines oder das andere, was zur Mittheilung in den Sitzungen der geographischen Gesellschaft geeignet sein möchte. Seit langer Zeit fühle ich gegen dieselbe die Verpflichtung längerer Mittheilungen, aber ich kann dazu nicht die nöthige Ruhe und Muße gewinnen. Heute will ich meine früheren kurzen Andeutungen über meinen Besuch von Kao-li-mön oder „Thor von Korea“ vervollständigen, dem einzigen Ort an der ganzen chinesisch-koreanischen Grenze, wo der Verkehr zwischen beiden Nationen gestattet ist, und auch hier ist er nur auf bestimmte Meßzeiten beschränkt.

Die Straße, auf der die Gesandtschaften zwischen Peking und der Hauptstadt von Korea reisen und der Handel sich bewegt, führt durch das Kao-li-mön. Ich kam jedoch nicht auf dieser Straße, sondern vom Süden her, nach einer Landreise entlang der Westküste und Südostküste der Halbinsel Liao-tung. Vierzehn Meilen von der Küste erreicht man den großen Handelsplatz Fong-whang-tschin (Fong-whang ist ein sagenhafter Vogel der Chinesen, ungefähr dem Phönix entsprechend). Zwei Meilen östlich davon ist das „Thor von Korea“. Ich erwartete hier einen größeren Platz zu finden, mit Grenzmauer und Festungsthor, oder wenigstens einen monumentalen Bau. Nichts von alledem. Das berühmte Kao-li-mön (Kao-li, chinesische Bezeichnung von Korea, mön „Thor“) ist ein kleines Wachthäuschen mit einer Durchfahrt für einen chinesischen Karren. Daran schließen sich westlich einige Gasthäuser und Hôtels garnis und die Waarenhäuser der Chinesen, östlich die Waarenlager der Koreaner unter freiem Himmel. Der Ort liegt in einem kleinen Thal, das sich von Südost nach Nordwest zieht. Der Bach wendet sich dann im Bogen über Nord und Ost nach Südost zurück, und ist einer der Zuflüsse des großen koreanischen Flusses Yalu-Kiang. Dieser Bogen umschließt das steilwandige Granitmassiv des Fong-whang-schan. Seine polygone Gestalt, die

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_317.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)