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wie sich denn Niemand gern weibisch schelten läßt und es überall eine Schande ist, ein Weib zu beleidigen.

Trotz aller Anstrengungen ist es mir ebenso wenig als Gerhard Rohlfs gelungen, den Ursprung dieser geheimnißvollen Paria-Stellung zu ergründen. Keine Tradition, keine Legende giebt Andeutungen über diese sonderbare Thatsache, über die ich nicht die geringste Vermuthung aufzustellen wage. Uebrigens unterscheiden sich diese Leute in Nichts von ihren Landsleuten, und Niemand zweifelt an ihrem gemeinsamen Ursprunge und Herkommen.

Die Gerechtigkeitspflege vollzieht sich nach dem Usus vergangener Jahrhunderte. – Mord fällt der Blutrache anheim und kann nie sofort durch Geldbuße gesühnt werden. Jeder Mörder wird landesflüchtig und kehrt nie wieder in sein Vaterland zurück, wenn nicht etwa, wie dies nach langen Jahren freiwilligen Exils bisweilen geschieht, endlich die Familie des Ermordeten dem Thäter gegen bedeutende Geldopfer gestattet, wieder in der Heimath zu leben. – Schwere Beleidigungen in Wort und That werden bei der Zornmüthigkeit der Tibbu gewöhnlich durch blutigen Kampf entschieden. Diebstähle, Verläumdungen, leichte Beleidigungen werden durch Geld gesühnt, je nach der Schwere des Falles und dem Vermögen des Schuldigen.

Jeder ältere, angesehene Mann genügt, die streitigen Fälle zu entscheiden und die Strafe zu fixiren; es ist durchaus nicht nöthig, die Angelegenheit dem Sultane zu unterbreiten. In schwierigen Fällen, und die klarsten und einfachsten werden oft zu solchen bei dem Eigensinn und der Rechthaberei der Tibbu, appellirt man an mehrere ältere, angesehene Männer, oder die ganze Versammlung der Edlen nimmt die Angelegenheit in die Hand, und nach tagelangen endlosen Discussionen und Negoziationen gelingt es fast stets, den Handel beizulegen.

Ehebruch und Verführung, die übrigens sehr selten zu sein scheinen, überliefern den Thäter dem Dolche des beleidigten Gatten oder Vaters, sofern dieser den Angriff auf seine Ehre beweisen kann.

Da kein Kadhi bekannt ist und kein in der Gesetzeskunde des Islam bewanderter Mann in Tibesti lebt, so recurriren sie in Fällen, wo ihre Weisheit zu Ende ist, an den Chef der Zauïa Sidi Senussi’s zu Wau im Fezānischen Distrikte Scherkiya, dessen Urtheil wohl stets als endgültig angenommen wird.

In physischer, intellectueller und moralischer Beziehung möchte ich die Bewohner in Kürze also charakterisiren: dieselben sind mehr oder weniger dunkelhäutig, mager, mittlerer Größe, ebenmäßigen Körperbaus,

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_313.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)