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wir im Winter an unsern gefrornen Fensterscheiben beobachten, kann nur eine ganz schwache und annähernde Vorstellung von den unbeschreiblich zierlichen und vielgestaltigen Eisblättern geben, welche die schwarzen Lavafelsen überzogen. Viele Steine sahen täuschend so aus, als ob sie mit Schwanenfittigen bedeckt wären, andere, als ob ein zarter, aus Silberflittern gewebter und mit Blumen durchwirkter Schleier um sie gesponnen wäre, andere, als ob große Rosetten von nierenförmigen Blättern plötzlich zu Eis erstarrt wären. Wie an den Vogelfedern und den Saxifraga-Blättern war die zierlichste und regelmäßigste Fiederung, Furchung und verzweigte Aderbildung an den wunderbaren Eisgebilden zu verfolgen. Wir wurden nicht müde, sie zu bewundern. Ich kann mir die Entstehung dieser seltenen Eisblätter nur dadurch erklären, daß der orkanartige heiße Südwind, der in den vorigen Tagen geweht, die Schneedecke, den Furchen und Vertiefungen der vielzackigen Lavablöcke entsprechend, von der einen Seite her abgeschmolzen hatte und daß das abfließende Schneewasser an der andern Seite sofort wieder gefroren war.

Nach anderthalb Stunden der mühseligsten Kletterei langten wir drei, der Führer Don Emanuel, Herr Wildpret und ich, auf der sogenannten „hohen Aussicht“ (Alta vista) an, einem kleinen, ebenen, geschützen Fleckchen in der endlosen Lavawüste. Hier hatte der englische Astronom Piazzi Smith mit seiner Frau im Sommer 1856 mehrere Wochen zugebracht, um astronomische und meteorologische Beobachtungen anzustellen. Eine Viertelstunde höher kamen wir an der Eishöhle (Cueva del hielo) vorbei. Das ist eine tiefe, von ungeheuren Lavatafeln überdeckte Höhle, in welche niemals ein Sonnenstrahl eindringt und in welcher den ganzen Sommer hindurch der Schnee, zu Firn zusammenschmelzend, erhalten bleibt. Zahlreiche Neveros oder Schneeträger aus Santa Cruz und Orotava holen hier im Sommer täglich das Eis, aus welchem, in Verbindung mit den Säften der herrlichen Südfrüchte, die köstlichsten Eisconfitüren, eine unersetzliche Erquickung für die Städter in den glühend heißen Sommertagen, bereitet werden. Noch eine Viertelstunde weiter hatten wir endlich die Rambleta erreicht, die kleine ringförmige Ebene, welche den Fuß des Aschenkegels umgürtet. Von der ganzen Gesellschaft gelangten nur drei, der Hauptführer, Herr Wildpret und ich, bis zu diesem Punkte. Alle Uebrigen waren im Malpays oder in der Estancia inglese zurückgeblieben.

Mit ungemeiner Spannung betraten wir die Rambleta. Sollte es wohl möglich sein, auch noch den Aschenkegel, diesen letzten über 800 Fuß hohen Gipfel des Vulkans zu erklimmen? Der erste Anblik stimmte unsere Hoffnung tief herab. Der Kegel lag vor uns, wie ein

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_021.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)