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Weib. Darüber solte man sich entrüsten und wehklagen, wenn doch einmal gewehklagt werden muß.

Vielleicht entsteht noch einmal eine Frauenbewegung in diesem Sinn, die das Weib als Geschlechtswesen befreit, es fordern lehrt, was es zu fordern berechtigt ist, volle geschlechtliche Freiheit, das ist, freie Verfügung über seinen Körper, die uns das Hetärentum wiederbringt. Bitte, keinen Entrüstungsschrei. Die Hetären des Altertums waren freie, hochgebildete und geachtete Frauen, denen niemand es übelnahm, wenn sie ihre Liebe und ihren Körper verschenkten an wen sie wolten und so oft sie wolten und die gleichzeitig am geistigen Leben der Männer mit teilnahmen. Das Christentum hat statt deßen die Einehe und – die Prostituzjon geschaffen. Leztere ist ein Beweis dafür, daß die Ehe eine mangelhafte Einrichtung ist. In einem Teil der Frauen sucht man von Jugend auf durch die christlich-moralische Erziehung das Geschlechtsempfinden abzutöten oder man verweist sie auf die Ehe mit der Behauptung, daß die Frau überhaupt monogam veranlagt sei. Gleichzeitig richtet man die Prostituzjon ein, zwingt also den andern Teil der Frauen poligam zu sein, damit den Männern geholfen werde, für die wiederum die Ehe unausreichend ist. Der Geschlechtstrieb und seine Befriedigung überhaupt wird als ein notwendiges Uebel hingestelt, dem so oder so abgeholfen oder gesteuert werden müße. In der Ehe wird er zur Pflicht gestempelt, außerhalb derselben verpönt oder seine Befriedigung in möglichst unästetische Formen, wie unsre heutige staatlich konzeßjonirte Prostituzjon gebracht. So geht mir doch mit der Behauptung, die Frau sei monogam! – Weil Ihr sie dazu zwingt, ja! Weil Ihr sie Pflicht und Entsagung lehrt, wo Ihr sie Freude und Verlangen lehren soltet. Weil Ihr kein Schönheitsgefühl im Leibe habt. Was ist denn ästetischer und im wahren Sinne moralischer: wenn Ihr Eure blühenden Mädchen zu abgestorbenen Gespenstern macht und Eure Söhne ins Bordell schikt, oder wenn Ihr sie sich mit einander in Schönheit ihres Lebens freuen laßt?

Nun Gott sei Dank, unsere christliche Gesellschaftsmoral hat sich mehr wie gründlich überlebt, die lezten Jahrzehnte, die moderne Bewegung hat die junge Generazjon wieder etwas von der mutigen Frohheit des Heidentums gelehrt. Wir haben angefangen die alten Gesezes-Tafeln zu zerbrechen.

Warum solte das moderne Heidentum uns nicht auch ein modernes Hetärentum bringen? Ich meine, den Frauen den Mut zur freien Liebe vor aller Welt wiedergeben? In Frankreich ist man uns in dieser Beziehung, in der erotischen Kultur jedenfalls weit voraus. Wir Deutschen müßen uns erst das schwere Blut, das kalte nordische Schuldbewußtsein und Verantwortungsgefühl abgewöhnen.

Und um wieder auf die Frauenbewegung zurükzukommen: sie ist die ausgesprochne Feindin aller erotischen Kultur, weil sie die Weiber vermänlichen will. Sie will unsern blutarmen, höheren Töchtern durch Gimnasjum und Studjum das bischen Geschlecht noch völlig abgewöhnen, womöglich durch ihre idealen Forderungen a la Björnson’s „Handschuh“ auch die Männer zur Askese erziehen.

Es kann einem angst und bange werden, wenn man diese „Extremsten“ in geteiltem Loden-Rok und gestärkter weißer Weste auf den Kateder steigen und mit einer Stimme wie eine Baß-Klarinette über „Das Woib“ reden hört. Sie meinen ja gar nicht das Weib, sie wollen ja gar nicht das Weib. Gott weiß, was sie überhaupt wollen. Es ist uns aus guter

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(22)_007.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)