Seite:Zürcher Diskußjonen (22) 002.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Behagen“, ist das, was den Menschen im Allgemeinen am meisten imponirt und ihnen als erstrebenswertestes Ziel des Lebens gilt.

In den Schichten der Gesellschaft, die man innerlich und äußerlich zum Filisterjum, zur Burschoisie rechnen kann, ist man sich völlig klar darüber, was der Frau ziemt und ansteht. Da gibt es keine Zweifel und keine entgegengesezten Meinungen. Vor allem handelt es sich darum, daß das Leben sich möglichst glatt und anständig ohne lärmende Konflikte abwikelt. Die erste Bedingung dazu ist, daß von der Frau möglichst wenig Wesens gemacht wird. Daß sie sich ihren tadellosen Ruf bewahrt und einen gutsituirten Mann, also eine auskömliche Versorgung bekomt. – In diesen zweien Geboten hanget das ganze Gesez und die Profeten.

Als kleines Mädchen artig in die Schule und manierlich mit Eltern oder „Fräuleins“ spazieren gehn, als großes Mädchen je nach den Verhältnißen als Nuzobjekt oder Dekorazjonsgegenstand im Hause figurieren, als Braut sittig errötend an der Aussteuer nähen, als Frau dem Gatten sorgend und liebend zur Seite stehen, den Pflichten des christlichen Ehebettes nach bestem Vermögen nachkommen und ihre Kinder zu derselben trostlosen Lebenslangeweile erziehen. Klar und deutlich ist der Weg ihr vorgezeichnet, etwaige Freiheits- oder Lustbestrebungen werden rechtzeitig unterdrükt, wo sie aber dennoch die Oberhand behalten, wird das räudige Schaf bald möglichst aus der Gemeinde entfernt – zur Freude der Gottlosen, denen ein Sünder lieber ist wie 99 Gerechte.

Ein zweifellos intereßanteres Gebiet wie das eben berührte ist die Emanzipazjon – dieses Heer von bewegten und bewegenden Frauen, die statt Kochlöffel und Nähnadel das Schwert der Rede und Agitazjon ergriffen haben, und der ganzen Welt zum Troz sich selbst und ihre Mitschwestern „befreien“ wollen.

Befreien – wovon und wozu? – Von der Sklaverei des Mannes, unter der das Weib seit Jahrhunderten schmachtet – so lautet die übliche Antwort – Von der sozjalen und geschlechtlichen Sklaverei.

Die Frauenbewegung hat wie alle Dinge ihre zwei Seiten. Das Streben, die Frauen der arbeitenden Klaßen aus ihrer Misere zu befreien, ihnen beßere Lebensbedingungen, höhere Löhne zu schaffen, sich der Kinder und Wöchnerinnen, besonders der unehelichen, anzunehmen, Alles das ist der sogenante berechtigte Kern der ganzen Bewegung, dem wohl kein vernünftig und human denkender Mensch seine Anerkennung versagen wird. Es sind das Gebiete, wo ein Zusammenwirken mänlicher und weiblicher Kräfte geboten ist und durch dasselbe gewiß unendlich viel geleistet werden kann.

Aber die „kämpfenden Frauen“ würden sehr empört sein, wenn man ihnen zumuten wolte, sich darauf zu beschränken. Die Hauptkraft der redenden, schreibenden und agitirenden Bewegung konzentrirt sich auf die Befreiung der gebildeten, gutsituirten Frau, auf den Kampf um die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter, die durch höhere geistige Schulung der Frau, durch Errichtung von Mädchengymnasjen, Zulaßung zum Studjum und zu den verschieden Berufen erreicht werden soll.

Die extremsten Bewegungsdamen haben die Behauptung aufgestelt: Das Weib kann Alles, was der Mann kann, es ist nur durch jahrhundertelange Unterdrükung und Gewohnheit um die Möglichkeit zu fisischen und geistigen Kraftleistungen gebracht worden.


Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(22)_002.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)