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Aber sicher, mein gutes Kind, – sagte ich – wozu wäre ich denn gekommen?

Dann brach man auf. Alles erhob sich. Und wie im Wirbeltanz schwangen sich die götlichen Glieder dieser Anadyomenen[WS 1]durch den Saal. Ich faßte mir an den Kopf. War es wirklich wahr? Und solte ich hier das Unaussprechliche erleben? ....

Die Nacht war jezt plözlich hereingebrochen, und das weiße Busen-Geflitter der götlichen Frau leuchtete wie helle Fakeln durch die Vorhalle. Aus der Ferne, hörte ich deutlich, sante uns noch eine Rohrdommel ihr nächtliches advertissement entgegen – „brrrrrrrum – bum di bum! – brrrrrrrum – brum di bum! ....“ wie ein Tambur, der den Abend-Marsch schlägt. – Löscht die Lichter aus! –

Ich stand noch einen Augenblik an dem großen maßiven Pfeiler, der das Ober-Geschoß stüzte, und blikte hinaus. Ein wunderbarer Frieden lag wie eine schwere Samt-Draperie über der ganzen Gegend, die Luft rein und durchsichtig unter dem violetten Himmel, eine Stille, wie wenn etwas Unerhörtes, etwas Gespenstiges paßiren solte, die ganze Stätte frei für depoßedirte, der Unterwelt entsteigende Geschlechter und unsterbliche Tanz-Reigen .... ,Komt jezt herauf – rief ich – Ihr weißschimmernden Leiber hellenischer Grazje und schütte Deinen Reichtum noch einmal aus unsterblicher Olimp über dieses befruchtete Tal! Steigt empor Ihr Grazjen und Musen, die Ihr katolisches Glokengeläute nicht hören könt, den Zäzilien-Gesang verachtet und von dem Weihrauch den Husten bekomt! Erschließet Eure Gaben und Brüste und führet uns noch einmal vor die alten mänadischen Reigen! Du aber Luna enthülle Dich und steige herab vom Himmel, zeige den glizernden Schnee Deines silbernen Leibes, und entkleide Dich, wie einst Phryne[WS 2], hier vor den schwarz und starr wie Unterweltsrichter dortstehenden Häuptern des Deutschen Waldes! Ihr aber Nachtigallen – woher habt Ihr Euren Namen? – laßet die sehnsüchtigen Laute in die dunkle Nacht hinaus erschallen, droßelt und jubelt, ruft sie herbei all’ die unsterblichen Götterschaaren, die auch damals vom Olimp herunter zusahen, als sie Ares und Aphrodite in brünstiger Umarmung erblikten ....‘

Venus faßte mich resolut am Arm und brachte mich nach Oben .... Ein Flimmern entstand vor meinen Augen .... Schuhe, Röke und Weste fielen wie wesenlose Hüllen von meinem Körper .... Eine Türe fiel schwer in’s Schloß – und ich sank in ein breites, mit groben Bauern-Linnen ausgelegtes Bett ....

Noch lange hörte ich entfernt-heimliches Mädchen-Gekicher, wie wenn Venus mit Silene am Himmel oben noch einen späten, lächerlich – eifersüchtigen Disput ausgefochten hätte – dann schwanden mir die Sinne – und ich tat einen langen, ruhigen, polizeifreien Schlaf.[1]

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  1. Die Meinung, daß hier ein alkoholischer Schluß gewählt worden sei, statt eines erotischen, weil der leztere von den Lesern an der Limmat niemals akzeptirt worden wäre, während der erstere mehr den Landessitten entsprach, dürfte doch nicht ganz stichhaltig ein. Die hellenischen Weine von Eglisau und Herrliberg tun an einem so heißen Sommertag ihre Wirkung, und besonders der Dôle hat, wie ich bestimt versichern kann, seine Muken.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Anadyomene: wörtlich „Entsteigende“; Beiname der Aphrodite, der durch das berühmte Gemälde des griechischen Malers Apelles gebräuchlich wurde, das die dem Meer entsteigende Göttin zeigt.
  2. Phryne: berühmte griechische Hetäre des 4.Jhdts. Der Legende nach bewegte sie, der Gottlosigkeit angeklagt, die Richter des Areopags zu einem Freispruch, indem sie sich vor den Richtern entkleidete und so ihre Unschuld bewies, da eine so schöne Frau den Göttern unmöglich verhasst sein kann.
Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(18%E2%80%9319)_014.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)