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– rief ich – Du hast Dich ja ganz schmuzig gemacht! Sieh ’mal hier: Alles voller Spinnweben! Dein schöner, schwarzer Samt-Rok! ....

„Ja, saperlot – meinte sie – in euserem Chäller isch es ja eso feischter, da chönt me si ja dä Hals breche, und Spimugge[WS 1] und Raze und därigs Teufelszüg gid’s da unne, ’s ischt ja schrekli! ....“

Mit dem Teufel stehst Du ja schon lang in Verbindung – dachte ich mir – aber komm’ her – rief ich laut – ich puz’ Dich ab, süße Wunschmaid ....

Und ich nahm die Göttin in meine Arme und zog sie an mich, und klopfte ihr mit meinen Händen den schwarzen Samtrok aus – und klopfte tüchtig .... Heiliger Apollo! – dachte ich mir – ist dieses grazjöse Götterbild, deßen zierlichen Wuchs Praxiteles in dem Marmorbild zu Florenz festgehalten hat, durch den langjährigen Aufenthalt in der Schweiz auseinandergegangen! Welche Gliederfülle! Welche Macht! Welche überirdische, götliche Macht!

Sie aber lachte, lachte herzlich und schlug mir in’s Gesicht. – Dann sezten wir uns und schenkten ein. Kräftig-kühl war dieser neue Wein, griechisch durchfunkelnd und nordisch durchfröstelnd .... Und wir plauderten ....

„Und da gascht jezt Du so mueterseelenällei dur d’ Welt – verhüratet bischt au nüd – äs Ringli häscht au keis am Finger – isch jezt da nirgends Di’s Blibes? ....“

Ach! schönste Venus – meinte ich – das Heiraten ist eine Sache der Zufriedenheit, der Gemächlichkeit, des Friedens mit der Welt – nicht des Kämpfens, des Ausreißens, des Wanderns – aber wer möchte heute auf jener schmuzigen Ebene jenseits des Rheins sich ein Haus bauen, wo jeder Polizist in Deinen Topf gukt, jeder Wachtmeister Deinen Kopf untersucht und jener Pferde-Gott, von dem ich Dir oben erzählte, mit seinen Kutscher-Fingern dem Lande Geseze schreibt? ....

„Jä händ Ihr jezt nüd au es höhers Wäse in Eurer Brust, än ewige, allgüetig-waltende Himmels-Vatter, der Alles erschaffe häd, d’ Sunn, d’ Wälder, d’ Bäumli, d’ Bächli, d’ Chueli, d’ Ghizeli .... glaubed Ihr jezt so ’was nüd? ....“

Doch doch! – aber dieses höchste Wesen hat jener Pferde-Mensch in seinen Besiz genommen; nur durch ihn kommen wir zu seiner Kentnis, es kann nicht direkt in unser Gemüt gelangen; heute herscht nur der Pferde-Kult, wer an ihn nicht glaubt, wer sich nicht vor dem Tier niederläßt und es anbetet, der ist verloren, er bekomt kein Amt, er darf nicht kaufen, er darf nicht verkaufen, er kriegt nicht zu eßen, er ist verfemt, er wird überwacht, er muß fort – fort – fort über die Berge, über die Flüße, über die Grenzen, über die Gebirge, dorthin, dahinaus, hieher – wo die Pferde-Religjon nicht herscht, wo friedliche Menschen wohnen, mit stolzen, aufbäumenden Gedanken und einem warm-pochenden, trozigen Herzen im Leibe ....

„.... und wie lang wird jezt das au dure? ....“

Das wird dauern, bis auf diesem riesigen Stallfeld sich Alles zersezt, Alles in Gestank und Kot aufgeht, und ihnen die Pest an den Hals komt, die ihnen die Gedärme zerrüttet und das Blut vergiftet ....

Ich hatte während der ganzen Zeit Venus sorgfältig beobachtet: kein Zweifel, diese hübsche und kluge Frau hatte von manchen Gästen, die auf Schleichwegen hier durchkamen, schon manche heftige und seltene Märe vernommen, und hatte sich gewöhnt, Alles in klugem Sinn erwägend, das Gehörte bei sich zu behalten und in stiller Stunde weiter darüber nachzusinnen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Spinnen (alemannisch)
Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(18%E2%80%9319)_010.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)