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Alles zu Paren treibend und Alles zerstampfend. Er kleidet sich in eine Farbe, die nur ihm und seiner Sippe zukomt und unter dieser Farbe verlangt er götliche Ehrerbietung. Und Alle, die ihn anbeten, tragen die gleiche Farbe, und[WS 1] verlangen nun ihrerseits gleiche Ehrerbietung. Und dieses Pferde-Geschlecht wälzt sich durch die Lande mit erbarmungsloser Gewalt. Niemand darf ihnen widerstehen, ja nicht einmal sie anrühren, bei Gefahr langjähriger Zuchthausstrafe, ja selbst bei Totesstrafe! ....

Die Göttin fuhr auf mich los, rasend, und schrie wie eine Erinye so herzzerreißend und markdurchdringend, daß, glaube ich, sechs Meilen in der Runde allen Wölfen das Herz im Leibe schlotterte. Gläser und Literflasche – sie waren leer getrunken – fielen um, die silbernen Ketten der schönen Frau rangen sich an ihrem Leibe empor wie die Schlangen Laokoon’s, und ihr prachtvoller Busen stürmte wie ein freisliches[WS 2] Hagelwetter gegen mich an.

Sie stand jezt dicht vor mir, ihre frischgestärkten Hemdkrausen rührten mich im Gesicht, und mit milder Stimme, während noch ihr Atem heftig keuchte, frug sie mich: „Was nehmetsi jezt au für en Wii, blibed Si bim gliche, oder wendsi jezt den Härrliberger oder emal dä Stammheimer verkoschte? ....“

Ja, meine Süße, rief ich, was Du wilst – wie Du meinst – sie werden ja alle gut sein, Deine Weine, die die Sonne Griechenlands ausgebrütet, die Deine weiße Hand dem hülfesuchenden Wanderer einschenkt .... ich denke, wir probiren einmal einen neuen ....

Und wieder wandelte sie dahin, und die schwarzen Samtfalbeln schlugen an die weißblinkenden Strümpfe.

Ich versank in ein dumpfes Brüten. Dieser Chionier-Wein hatte es mir doch angetan. Man soll beim Weintrinken nicht zu viel reden. Und ich hatte zu viel gesprochen ....

Die Sonne hatte jezt den Zenit erreicht. Wie ein weiches Strahlenbad lag es über der ganzen Gegend, die blumigen Wiesen prangten vor Lust und Ueberfülle, hellblaue Schwaden lagen zwischen den Wipfeln der Bäume, in den Furchen der Waßergräben, und ein fortwährendes „Zßt ....“ – „Zßt ....“ schwirte wie eine betäubende Musik aus all den Halmen und Blumenkelchen ....

Wie wär’s – sagte ich mir – wenn Du Dich hier definitiv niederließest? Vielleicht als Klavierspieler in diesem Venusberg, deßen sie ja bei ihren abendlichen Redouten doch bedürfen. Denn einen heimlichen, zahlreichen Besuch bei einbrechender Nacht hatten ja doch die drei Mädchen gewiß zu erwarten? Oder als Gedichtverfertiger für die zahlreichen erotischen Posizjonen, die es ja hier in dem, sei es platonischem, liebeanbetenden, oder genußheischenden Verkehr mit den drei Huldinnen doch geben mußte? Oder als Herausschreiber der Prospekte für dieses moderne Liebesbad, deßen Kunde ja die Welt mit Staunen und Entzüken vernehmen würde, und das der Schweiz einen neuen ungeahnten Fremdenzufluß zubringen würde? .... Vielleicht war die kantonale Regierung über Alles orjentirt, drükte ein Auge zu, während sie mit dem andern sehnsüchtig auf dieses felsenumstarte, wonneumrauschte Kythera blikte ....

Venus kam zurük, bebend, schnaufend, gewaltig, heiter, friedsam wie eine Göttertochter. In der durchsichtigen Literflasche perlte ein hell-kirschroter Saft. Er hatte eisige Kühle, denn sogleich bedekte sich das Gefäß mit einem diken Reif .... Aber schönste Himmelstochter!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nnd
  2. schrecklich
Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(18%E2%80%9319)_009.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)