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Intra muros et extra.

Otto Julius Bierbaum, „Das schöne Mädchen von Pao, ein Chinesischer Roman“, Berlin und Leipzig im Verlage von Schuster und Löffler, 1899. – Bierbaum ist unter die Satiriker gegangen. Er hat ein gelbes, chinesisches Gewand angezogen, welches er sich von einem Münchener Papierlieferanten machen ließ, hat ein Gong in die Hand genommen – wahrscheinlich von einem Bozener Pfannenfliker erstanden – haut auf dieses Instrument wie wahnsinnig los, so daß sein diker Schulmeisterkopf ganz puterrot wird, und speit unter den fürchterlichsten Verrenkungen und Grimaßen die dikste gelbe Galle auf die Zustände des deutschen Reichs. – Otto Julius ich warne dir! – Das geht nicht! – Du komst troz deines kurzen Halses auf das Schafott und kriegst nie den roten Adler-Orden III. Klaße. – Wie kann man nur so . . . . . . er nimt Staatsanwälte, höchste deutsche Würdenträger, Hoflieferanten, Unterstaatssekretäre, Direktoren von industriellen Etablissements, die zugleich Majore sind, wirkliche Vorstände von kgl. Geschüzgießereien u. dgl., stekt sie in gelbe Chinesische Gewänder, die mit Zeichen bedekt sind, von denen jedes einzelne in China 3 Jahre Zuchthaus bringt, und haut dann die ganze Gesellschaft mit einer langen Peitsche, die er sich von seinem Pächter in Eppan geliehen hat, durch!! – Das geht nicht! – Wenn das Höchste, was wir auf Erden besizen, wenn Se. Majestät Gott der Große – „wer?“ – Seine Majestät Gott der Große . . . . „wer ist das?“ . . . . mein Gott! – „ist es Er?“ – aber natürlich! – „Der Allermächtigste?“ – aber selbstverständlich! . . . . . „nun?“ . . . . ich sage: wenn das Höchste, was wir auf Erden besizen, wenn Se. Majestät Gott der Große in gelbes Chinesisches Reis-Papier gestekt und öffentlich mit Chinesischen Majestäts-Beleidigungen traktirt werden darf, dann schwinden die etischen Werte, auf denen unser Dasein beruht, dahin, und das Deutsche Reich stürzt in sich zusammen. – „Aber die Zustände in diesem Deutschen Reich sind auch nachgerade auf einen Punkt angelangt . . . . . .“ – Das ist ganz gleich, sie werden noch auf einen weit schlimmeren anlangen. Der deutsche Untertan hat auf die götliche Regierung zu achten. – „Das Buch kostet nur M. 3.“ – Das ist keine Entschuldigung, das ist erschwerend, jeder Edelanarchist kann sich das Buch kaufen . . . . . . – “ es ist ein Schuster und Löffler erschienen!“ – Das ist ganz gleich: Schuster und Löffler sind vorbestraft, oder doch vorverdächtigt, Schuster und Löffler kommen ebenfalls aufs Schafott! – „aber man muß doch in irgend einer Form seine Meinung . . . . .“ – nein, wenn die indirekt durch Gott inspirirte Regierung gesprochen hat, gibt es im Lande zwischen der Nordsee und den Alpenfirnen keine divergirende Meinung! – „aber man kann doch in harmlos-satirischer Form . . . . .“ – nein! – „in novellistischer Rede . . . .“ – nein! – „durch die Blumensprache . . . . .“ – nein! – „durch Seufzer . . . . .“ – nein! – „durch Rascheln mit Reis-Papier . . . .“ – nein! gar wenn dasselbe mit Zeichen bedrukt ist, unter denen die schwersten Chinesischen Majestäts-Beleidigungen verstekt sind! Wir warnen hiemit jeden Deutschen, der es wahrhaft ehrlich mit seinem Lande meint und der fest entschloßen ist, lieber das Reich zu Grund geh’n zu laßen, als die geringste Aenderung an den jezt für heilig und unantastbar erkanten Zuständen und Einrichtungen zu erlauben, – sich über der Lektüre des Bierbaum’schen Buches erwischen zu laßen. Der Verfaßer aber, dem jeder Sinn für die Heiligkeit, Tapferkeit und Artillerietüchtigkeit des frommen, auserwählten, deutschen Volkes abgeht, sei hier auf das Nachdrüklichste gewarnt! –


Vor einigen Wochen konte man in mehreren kleinen Schmierblättern absichtlich zweideutige Notizen finden, in denen unter Weglaßung des Vornamens schlechtweg von einem „Anarchisten Panizza“ die Rede war, dem „Genoßen Lucheni’s“, daß derselbe da und da ausgewiesen, dann wieder zurükgekehrt, aber von den Behörden entdekt, wiederum ausgewiesen, daß seine Schriftstüke, in denen sich aufreizende Gedichte befanden, beschlagnahmt, seine Bücher konfiszirt worden seien etc. Es handelt sich hier um eine absichtliche Verwechslung des Anarchisten Attilio Panizza in Lugano mit dem Herausgeber der „Zürcher Diskußjonen“. Man glaubte auf diese Weise die Reputazjon Attilio Panizza’s schädigen und seiner flekenlosen Ehre zu nahe treten zu können,

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(16%E2%80%9317)_014.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2018)