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Absonderheiten des jungen Poeten sind treu gebeichtet. Das von dem geliebten Freunde zurükgelaßene Taschentuch preßt er inbrünstig an die Lippen, die Stunden und Minuten, da er den jungen Freund nur erblikt, vermerkt er sorgsam, in schmachtenden Gedichten besingt er denselben in rührendster Weise. „Dieses Memorandum meines Lebens“ wie Platen sein Tagebuch titulirte, versah er als Motto mit dem Jean Paul’schen Spruch: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Nur einige der markantesten Stellen seiner Bekentnisse sollen hier wiedergegeben werden.

Zunächst spricht Platen von seinen Kameraden im Kadettenhaus zu Ansbach: „.... Ich komme nun zu Joseph Xylander,[1] dem spätestens erworbenen, aber damals bei weitem innigsten meiner Freunde. Wir waren mehr als drei Jahre in einem Hause beisammen (in der Cadettenanstalt), ehe wir uns näher kennen lernten. Erst im März 1810 brachte uns ein sympatischer Zug plötzlich näher. Ich muß gestehen, daß eine kleine Intrigue dabei im Spiele war, doch darf ich kühn sagen, daß mich mein Freund so sehr liebte, als ich ihn. Wir waren einander alles. Wir genoßen einige Monate lang das reinste höchste Glück, das die Freundschaft zu gewähren im Stande ist. Wir vergaßen sogar ziemlich alles über uns selbst, sehnten uns beständig nach einander und brachten sogar die wenigen Minuten des Stundenwechsels pünktlich bei einander zu … Doch was uns fehlte, war mehr gegenseitiges Vertrauen; so viel wir beisammen waren, so wenig redeten wir zusammen, riefen immer noch einen Dritten zur Unterhaltung herbei, der die Flammen des Gesprächs schüren mußte. „Ich war zu voll“, schrieb Xylander in einem späteren Briefe, „um mit Dir von gleichgültigen Dingen zu sprechen, und zu schüchtern, um von dem zu sprechen, was ich in so hohem Grade empfand“, (Tagebücher S. 25–26).

Es folgen einige für das intime Seelenleben Platen’s sehr bezeichnende „Selbstbetrachtungen“, aus der Zeit seines Paschendienstes am Hofe Ludwig I. in München. Der geliebte Freund, welchem diese flammenden Gefühlsergüsse gelten, war der junge Sohn des damaligen französischen Gesandten, Grafen Mercy: „.... Der einzige Freund, der mich verstund, der gleiche Neigung und Denkweise mit mir teilte, diesen einzigen hast Du geraubt, Schicksal auf immer. Ich verlange Ersatz, ich habe große Forderungen an dich zu machen. Es lebt einer, der mir dies alles ersetzen könnte, gestern habe ich ihn wiedergesehen. Glücklich war ich, ehe ich ihn sah, glücklicher als ich ihn sah; doch elend werde ich sein, da ich ihn nicht mehr sehen werde. – O, es ist seltsam mit des Menschen Wünschen. Ich verlange nur Mitgefühl, und alle glänzenden Güter der Erde ekeln mich an. Schätze! Würden! Ruhm! Was sind das für unser Herz? Vereine sie alle auf Dein gepriesen Haupt, wer bürgt Dir für die Lücke in Deinem Busen! … Wie wohl ist mir in seiner Nähe, wie geht mir das Herz auf. Eine sanfte Regung erfüllt meine Seele. So muß es einem heiligen Geiste sein, der in’s Elysium eintritt. Ihn erschütterte nichts mehr, was ihn auf Erden bewegt hat … Ich möchte ein Maler sein. Wie glücklich ist, wer diese teuren Züge auf der Leinwand nachbilden und den Gegenstand seiner Liebe im Werke seiner eigenen Kunst immer betrachten kann. Wenn mir das zu Teil geworden wäre, dann wäre er mir immer nahe, und täglich würde ich mich an seinen Zügen weiden.... Diese Nacht habe ich von ihm geträumt, ein freundlicher schöner Traum, wie er selbst freundlich schön ist. Meine Hand lag in der seinigen; das wird nimmer in Wahrheit geschehen, meine Hand wird nimmer in der seinigen liegen … Sollt’ ich ihn nicht mehr sehen, o Gott, so laß doch diese Liebe nicht auslöschen. Es ist die Liebe zu allem Schönen und Wahren und Vollkommenen. In ihm sehe ich alles Himmlische vereint..... Ich kann nicht ohne ihn sein. Ich fühle eine unbeschreibliche Leere. O Wohlthat seines Anblicks, die mir nur selten zu Teil geworden, o unabsehbare Reihe von Tagen, die ich ohne ihn werde verleben müssen. Und gezwungen sein, sich so hinzuschleppen, im Gefühle des Elends so auszudauern und an nichts eine Nahrung des Geistes oder Herzens zu finden. Ich kann nicht ohne ihn sein …“ (Tagebücher S. 59).




  1. Jos. Karl August Ritter von Xylander (1794–1854) Militärschriftsteller, später Bundestagsgesanter Baiern’s.
Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(16%E2%80%9317)_010.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)