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Diese Predigt, sagte er, habe ihm für eine ihm bis dahin gar nicht zum Bewußtsein gekommene Seite der heiligen Schrift den Blick geöffnet – nämlich für die Meisterschaft der heiligen Schriftsteller in der Zeichnung der Charaktere. War er als Jüngling geneigt, Theremin über Schleiermacher zu stellen, so urtheilte er als Mann anders. „Theremin“, sagte er einmal, „hatte, als ich in Berlin war, unlängst seine Frau verloren. Man merkte ihm in seinen damaligen Predigten die Bewegung und Ergriffenheit seines Gemüths ab. Wenn er predigte, so sprach er sich gewissermaßen aus. Schleiermacher aber hatte sich, wenn er predigte; er war ein größerer Mensch und darum auch ein größerer Prediger.“

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 Auch später rühmte Löhe oft die ruhige, klar verständige Predigtweise Schleiermachers, zwischen welcher und seiner eigenen manche sogar eine gewisse Aehnlichkeit entdecken wollten. Ein schweizerischer Professor sagte Löhe’n einmal in seinen späteren Jahren: seine Predigtweise habe ihn sehr an Schleiermacher erinnert. Löhe sprach einem jüngeren Freunde gegenüber seine Verwunderung über dieses Urtheil aus. „Meine Art zu discurieren“ – meinte er – „hat doch mit der ,wasserklaren‘ Art Schleiermachers nichts gemein. Doch vielleicht eine Aehnlichkeit besteht allerdings. Meine Vorbereitung beschränkt sich oft nothgedrungen darauf, daß ich mich auf mein Thema besinne; die dialektische Durcharbeitung ist dann Erzeugnis des Augenblicks und dieses laute Durchdenken meines Satzes muß eben dann für eine Predigt gelten. So war’s auch bei Schleiermacher, wenn man mir die Ehre anthun will, mich hierin mit jenem großen Geiste zu vergleichen.“ Löhe stellte allerdings an eine Gemeinde die Forderung, nicht blos dem Prediger zuzuhören, sondern mitdenkend, ja gewissermaßen vordenkend sich an der Gedankenarbeit des Predigers zu betheiligen. Doch