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keine Befriedigung mehr bot, so wandten sich damals mit desto mehr Erwartung und Begeisterung die besten und strebsamsten unter der studierenden Jugend den die Zeit beherrschenden philosophischen Systemen, insonderheit jenem zu, welches den Anspruch machte, die Versöhnung zwischen Philosophie und Christenthum zu sein. Wie viele haben in der Schule des hier gemeinten Philosophen die Wahrheit gesucht, ehe sie nach langen Umwegen und Enttäuschungen bei dem anlangten, der da spricht: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Löhe’s Gang war ein andrer. Mag es immerhin auch ein gewisser Mangel philosophischer Begabung gewesen sein, was ihn von tieferem Eindringen in die speculative Gedankenarbeit des Jahrhunderts abhielt: der Hauptgrund war doch die früh gewonnene Ueberzeugung, daß die Wahrheit nicht entdeckt werden müsse, sondern geoffenbart sei, und daß nicht der suchende Philosoph, sondern der gläubige Christ sie finde. Während daher ein großer Theil seiner Altersgenossen von den hohlen Worten geblendet wurde, welche damals menschliche Weisheit vom philosophischen Katheder herab sprach, war Löhe ein Jünger der göttlichen Thorheit, ein Mann des einfachen, rückhaltslosen Glaubens an das Schriftwort. Die Gnade hatte sein Herz frühzeitig fest gemacht. In der That es überrascht, an einem 19jährigen Jüngling eine so ausgeprägte Bestimmtheit des christlichen, theologischen und kirchlichen Standpunktes, wie wir sie bei Löhe wahrnehmen, zu finden. Obwohl es ein reformierter Lehrer war, der ihn zu Christo wies, und obwohl durch den Rationalismus die konfessionellen Gegensätze verflacht und auch für das neu erwachende Glaubensleben noch nicht wieder in ihre Bedeutung eingetreten waren, war Löhe dennoch bereits als Student mit Bewußtsein und voller Ueberzeugung Lutheraner. So war er z. B. ein entschiedener Anhänger und Bekenner der lutherischen Lehre vom