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die Ehre geben, wie wird aus ihrem Herzen, von ihren Lippen nie das Bekenntnis weichen: Ich bin nicht werth aller Barmherzigkeit und Treue, die du, Herr, an mir thust! „Und siehe!“ – Und siehe! Ich muß erfahren aus Gottes Wort, daß auch ihr die Warnung vor dem Fall bedürfet, – daß auch ihr JEsum und Sein Verdienst verlassen, euer Verdienst erheben, eure Sünde verkleinern, stolz, selbstgerecht werden und sagen könnet: „Wir haben keine Sünde!“ – Ja denn, wenn ihr’s thut, wenn ihr euch selbst verführt vom wohlerkannten, wohlbetretenen rechten Weg; siehe! so ist eure Verdammnis ganz recht! Ihr seid dann doppelter Streiche werth, über euch muß ein schwererer Fluch erfüllt werden, als selbst über Capernaum, die am meisten Seiner Thaten gesehen und sich doch nicht bekehret hat! denn ihr waret bekehret, ihr liefet fein auf dem lebendigen Weg, ihr hattet Kraft von oben auf ihm zu beharren, und habt ihn sammt seinem ewigen Ziele nichts geachtet!

 O, so verläugnet doch eure Sünde nicht, Geliebte! Betet um Demuth, betet, daß ihr immer kleiner, immer unmündiger vor Gott werden, immer brünstiger das Bekenntnis der Gerechtigkeit allein aus Seiner Gnade vor Ihm thun möget!

 So werdet ihr doch bewahret bleiben, so werdet ihr doch entrinnen dem schrecklichen Gerichte Gottes über die Verläugnung der Sünde, daß sie ewig bleiben muß, was sie ist, eine Selbstverführung vom erkannten rechten Weg, eine immer weitere Entfernung von dem goldenen, seligen Ziel des Christenlaufs, endlich ein ewiger Verlust der seligen Ruhe Gottes in der Heimath.


II.

 Wir haben nun nach dem ersten Theil unseres Textes die Verläugnung der Sünde betrachtet als eine Selbstverführung. Im zweiten Theil des Textes sagt Johannes: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so ist die Wahrheit nicht in uns.“ Die Verläugnung der Sünde ist sonach zweitens ein Verlust der Wahrheit aus unserm Herzen.

 Wenn Johannes von der Wahrheit redet, redet er nicht von ihr, wie die Welt von ihr redet. In der Welt hat ein Jeder seine eigenen Gedanken von der Wahrheit, Jedem gilt etwas Anderes für Wahrheit, aber kein Weltkind kennt sie selbst, keines hat sie selbst gefunden. Die Welt hat keinen Sinn für die Wahrheit. Es geht ihr wie Pilato, sie sucht die Wahrheit, und wenn die Wahrheit endlich lebendig zu ihr kommt, fragt sie doch noch verlegen: Was ist Wahrheit? Nicht so Johannes. Er kennt die Wahrheit, er hat sie gesehen und beschauet mit seinen Augen, betastet mit seinen Händen, sein Haupt hat an ihrer Brust geruht, und mehr als