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Lebkuchen und einen Fingerhut voll feinen Liqueurs. Als nun am Neujahrsabend (31. December 1815) die Reihe an mich kam, fieng ich an zu weinen, sagte nichts auf, sondern schrie: „Mein Vater stirbt, mein Vater stirbt!“

 Als mein Vater immer kränker wurde, war ich oft betrübt. Einmal kam ich nach 11 Uhr, wo man in Franken zu Mittag ißt, von der Schule und aß, da die andern schon gegessen hatten, allein. Die Sonne schien in die Stube, meine. Mutter war still beschäftigt, dem kranken Vater Ueberschläge zu machen. Um 12 Uhr sollte ich nach Gewohnheit zum Violinunterricht gehen. Heute wars mir nicht dazu. Ich fragte: „Mutter, soll ich zum Geigen gehen?“ Sie antwortete: „Mein Kind, wir haben ausgespielt!“ Das drang mir durchs Herz, ich weinte bitterlich.

 Damals konnt’ ich beten. Wenn es Abend wurde und ich freie Zeit hatte, gieng ich manchmal lang auf der Gasse vor dem Haus auf und ab und betete ums Leben meines Vaters. Es war mir schrecklich, ein Waisenkind zu werden! – Unsere Wohnstube hatte einen Bretterverschlag, aber keinen senkrechten, sondern einen horizontalen, so daß eine Treppe von unten in den Verschlag führte und ein großes Fenster beide Abtheilungen erleuchtete. In dem oberen Verschlag stand mein Lager, und neben demselben ein alter Behälter, der vor mir im Geruch der Ehrwürdigkeit und tiefen Geheimnisses stand. Einmal hatte ich gebetet, trank dann nach meiner Gewohnheit, „um nicht“, wie ich sagte, „in der Nacht unversehens durstig zu sterben“, fiel, gleichfalls nach Gewohnheit, der Mutter mit den herkömmlichen Worten: „Gute Nacht, schlafen Sie wohl, stehen Sie gesund wieder auf!“ um den Hals – und gieng zu Bette. Da kam mir im Vorübergehen ein Schauer aus dem Behälter entgegen; ich merkte, daß mein Beten nicht erhört sei, daß mein