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Publicum hat in den Ende 1834 bei Rau erschienenen „Sieben Predigten“ sowie in den 1835 herausgegebenen „Vater-Unser-Predigten“ eine Probe seiner gewaltigen geistlichen Beredtsamkeit aus jener Zeit in den Händen. Die Tiefe der Gedanken, der hohe Schwung der Sprache, der gewaltige sittliche Ernst, das alles vereinigte sich, um seinen Predigten eine ungewöhnliche Anziehungskraft auf die Gemüther zu geben. Rector Roth äußerte einmal: Löhe habe, so lange er in Nürnberg war, auf die dortigen übrigen Prediger eine „elektrisierende“ Wirkung ausgeübt, so daß sie auch anders predigten als sonst. Freund und Feind strömten in diese Predigten, die das Tagesgespräch in Nürnberg waren. Selbst in den Schenken unterhielt man sich darüber, und die feindselige Presse ermangelte nicht, Löhe durch ihren Koth zu ziehen. Letzteres war nicht zu verwundern, denn an rücksichtslosem Freimuth der Sprache, der in der That an die Kühnheit der Propheten im alten Testament erinnern konnte, bot Löhe seinen Zuhörern das Aeußerste, was wohl in unseren Tagen einem städtischen Publicum geboten worden ist. Wenn er z. B. einmal in einer Predigt sagte: „Ihr Mütter führt eure Töchter im Hurenschmuck auf den Ball“, oder wenn er ein ander Mal die Gegenwart Nürnberg’s mit seiner Vergangenheit im Reformationszeitalter vergleichend die Worte Jesaia 1, 21 gebrauchte, so mag man, namentlich in unseren Tagen, wo der elenchus gar nicht oder nur mit äußerster Zahmheit geübt wird, wohl staunen über diesen Freimuth der Rede, der einer städtischen Zuhörerschaft solche Keulenschläge hinzunehmen gab. Daß die also Getroffenen von einer solchen Sprache empfindlich berührt wurden und sich an dem, der sie führte, zu rächen suchten, kann nicht Wunder nehmen, und schon in den ersten Monaten von Löhe’s Aufenthalt in Nürnberg wurde vom Magistrat wegen seiner Predigtweise eine ernste Klage bei der