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die Tugend der Lehrerin, welche ihr zu wünschen ist. Auch die Lehrerin hat es hiebei gar nicht allein mit den Kleinen zu thun, sondern oft auch mit den Eltern, die bisweilen eben so bewegt und gerührt sind als die lieben Kinder. Da muß die Lehrerin auch die Eltern überwinden und sie durch Gründe und freundlich ausharrende Ermuthigung dahin bringen, daß sie nicht vor Weh und Leid ihre Kinder daheim behalten, sondern in Gottes Namen warten, bis die traurige Periode vorüber ist, und Eltern und Kinder sich der Kleinkinderschule freuen lernen. Erst wenn man so weit in der Gewöhnung vorgeschritten ist, ist die Bedingung gewonnen, ohne welche keine Kleinkinderschule etwas leistet. Auch die Gewöhnung zu jenem Gehorsam, vermöge dessen man sich einer Lehrerin auf’s Wort fügt, ist keine Kleinigkeit. Es werden aber der Lehrer und die Lehrerin von Talent daran erkannt, daß sie mit Langmuth nach dem Gehorsam ihrer Kinder ringen. Die meisten Lehrer und Lehrerinnen werden dieser schweren Arbeit sehr bald müde, und statt die Kinder zum Gehorsam zu bringen, lassen sie sich von den Kindern zu geringeren Anforderungen gewöhnen, daß sie es am Ende gar nicht mehr merken, wenn sie selbst von den Kindern gegängelt werden, und es um sie her tummelt und tobt. Daher ist es auch mit den meisten Schulen und deren Leistungen von vorn herein eine traurige Sache, und keine Hoffnung. – Die Lehrerin kann je nach Beschaffenheit der Kinder verschiedene Mittel anwenden, um sie zum Gehorsam auf’s Wort zu gewöhnen; aber dahin bringen muß sies; bevor sie das erreicht hat, leistet sie nicht viel.

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 Im Gehorsam gegen das Wort ist schon etwas anderes eingeschlossen. Unsere gütigen Land- und Stadtleute glauben nämlich, sie seien gar nicht einmal väterlich und mütterlich gegen ihre Kinder gesinnt, wenn sie sie nicht den ganzen Tag essen lassen. Müssen auch die viel geplagten Zähne ein Viertelstündchen vom Kauen ausruhen, so muß doch in der linken Tasche ein Stück Brod auf Vorrath vorhanden sein, damit man bei der ersten Erinnerung der Möglichkeit, weiter essen zu können, die Arbeit aufs neue fortsetzen könne. O, große Wohlthat für ein Kind, eine Lehrerin zu haben, welche es gewöhnt, das Leben

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Wilhelm Löhe: Von Kleinkinderschulen. Gottfried Löhe, Nürnberg 1868, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Von_Kleinkinderschulen.pdf/11&oldid=- (Version vom 8.8.2016)