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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Krüppelhaftigkeit, Blutflüßigkeit, was du nur nennen willst, der Erlöser kann helfen. Er ist ein Gott, der da hilft, ein HErr HErr, der auch vom Tode errettet; Er legt uns wohl eine Last auf, aber Er hilft uns auch − und Sein Ruhm ist, so groß und hehr, so gewis er ein Gottesruhm ist, auch ein Heilandsruhm, ein Ruhm der Leiden, durch welche Er einzig dasteht im Himmel und auf Erden.


 Ein mächtiger, hilfreicher Heiland ist Er, das sahen wir; das werden wir ferner inne werden, wenn wir von dem Glauben reden, was uns unser Text lehrt. Es wird scheinen, als hörten wir auf von dem HErrn zu sprechen; Sein Thun wird scheinbar ein wenig zurücktreten; aber Er wird dennoch gegenwärtig bleiben, als ein Anbetungswürdiger nicht allein, als ein Angebeteter wird Er uns erscheinen; denn der Glaube, von dem wir reden werden, was ist er anders als Anbetung, als tiefste Anbetung der Seelen? In der Mitte der Seinen, der Gläubigen, unter den Lobgesängen Israels wohnt der HErr! So wird Er auch bei uns bleiben und unter uns wohnen, wenn wir nun den Ruhm des Glaubens beginnen.

 Der Glaube des Aussätzigen und der des Hauptmanns sind einerlei Wesens. Beide hoffen von Ihm eine Hilfe, die sie noch nicht sehen, und setzen in Seine hilfreiche Macht keinen Zweifel. Jene herrliche Erklärung des Wortes „Glaube“ in Ebr. 11, 1. könnte namentlich an des Hauptmanns Beispiel gut erläutert werden. Indes haben wir uns nicht vorgenommen, vom Wesen des Glaubens zu reden; das, was alle Arten und Stufen des Glaubens mit einander gemein haben, wird unter uns oft genug besprochen. Es sind einige besondere Wahrnehmungen, welche wir in Betreff des Glaubens, gemäß unserm Texte, vorzulegen haben.

 1. In beiden Fällen, welche unser Text berichtet, finden wir bei den Hilfesuchenden schon einen Glauben, ehe sie noch mit JEsu sprechen. Denn es muß doch Glaube bei beiden vorhanden gewesen sein, da sie sich in so großen, durch keine Menschenhilfe zu beseitigenden Nöthen an den HErrn gewendet haben. Könnten wir darüber noch in Zweifel sein, so würde doch der Wortlaut ihrer Bitten und die ausdrückliche Anerkennung JEsu Beweises genug sein. Ja, es ist eben daraus zu erkennen, daß beide Männer nicht bloß einen geringen Glauben hatten. Woher ist ihnen nun dieser Glaube und diese Glaubenszuversicht gekommen? Eigene Erfahrung hatten sie keine, so muß es fremde Erfahrung gewesen sein, die sie für ihre eigene Noth so Großes von dem HErrn hoffen lehrte. Man könnte annehmen, daß gehörte Predigten des HErrn die Gemüther der beiden Notleidenden so mächtig zum Glauben an Ihn bewegt haben. Aber wenn wir schon von dem Hauptmann wenigstens nicht mit Sicherheit wißen oder schließen können, daß er, der Heide, sich in die Synagoge begeben habe, wenn JEsus Christus predigte, oder daß er bei andern öffentlichen Predigten des HErrn außerhalb der Synagoge zugegen gewesen sei; so bleibt uns bei dem Aussätzigen, der wie alle seines Gleichen von der menschlichen Gesellschaft ausgeschloßen war, dafür nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit. Es muß deswegen mindestens bei diesem der Glaube, der ihn zu JEsu und zur Bitte an Ihn trieb, von dem Gerücht bewirkt worden sein, welches auch ihn in seiner stillen Abgeschiedenheit erreichte. Ich hebe dieß hier nur mit wenigem hervor und verschiebe es auf spätere Texte, davon mehr zu sagen. Jeden Falls aber halte ich es öfterer Erwähnung werth, daß nicht bloß die Predigt mit Amtsgnade ausgestatteter Prediger, sondern auch die Rede von JEsu, wie sie aus dem Munde anderer Leute kommt, die heilsame Kraft des Evangeliums ausüben kann, wenn nur der Inhalt derselben Evangelium ist. Es liegt in diesem einfachen, kaum von irgend wem bestrittenen Satze viel Trost für den Nachdenkenden, denn das Gerücht und die Rede vom HErrn ist allezeit viel weiter und ferner zu den Menschen hindurchgedrungen, als die Füße der eigentlichen Prediger und ihre Predigt, − und wohin kein Evangelist gekommen, dahin ist die Gnadenkraft des Heiligen Geistes mit dem Gerüchte von Christo, dem Gespräche und der Erzählung derjenigen gekommen, die nicht wußten, wie heilsame, sproßende Samenkörner sie mit ihren Worten in die Herzen sehnsüchtiger, nach dem Himmlischen verlangender Menschen brachten. So säet der Säemann seine Saat − und meint allein sein Land zu besäen: der HErr aber hat Wind und Wellen und mancherlei Mittel, um von dem gestreuten Samen auch dahin mitzutheilen, wohin der Säemann nicht gedacht. Denn Er kennet, die wir nicht kennen, und gedenket ihrer, wenn wir ihrer weder gedenken, noch gedenken können.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 082. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/93&oldid=- (Version vom 22.8.2016)