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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Vorwort zur dritten Auflage.


 ALs mir der Verleger dieser Postille im Frühling des heurigen Jahres mittheilte, daß er eine neue Auflage derselben drucken zu laßen gedenke, wollte ich mich einer genauen Revision derselben unterziehen. Ich begann sie auch, bald aber ergab sich dasselbige Resultat, welches bereits in der Vorrede zur zweiten Auflage niedergelegt ist. Ein solches Buch gleicht einem Stück Leben, das, wenn es einmal zurückgelegt ist, mit allen seinen Fehlern und Gebrechen stehen bleiben muß und nicht mehr verändert werden kann. Daher blieb dem Verfaßer auch gar nichts übrig, als das Buch in der dritten Auflage wie in der zweiten unverändert, nur mit geringer Zugabe hinaus gehen zu laßen. Segne Gott ferner wie bisher, was Ihm daran wohlgefällt; was Ihm aber nicht gefällt, das misbillige und verwerfe die ganze Gemeinde, welche Recht und Pflicht hat, sich vor falschen Propheten zu hüten.

 Wenn der Verfaßer gegenwärtig eine Evangelienpostille verabfaßen würde, so würde er im Vergleich zu der hier vorliegenden in eschatologischen Einzelheiten hie und da eine bestimmtere, hie und da eine andere Sprache führen. Das Lesen der heiligen Propheten und der Offenbarung Johannis hat ihm den Satz der augsburgischen Confession im 17. Artikel, nach welchem nimmermehr „eitel Heilige, Fromme vor der Auferstehung der Todten ein weltlich Reich haben und alle Gottlosen vertilgen werden,“ vollkommen bestätigt; dagegen aber hat er die spiritualistische Deutung der Propheten und der Apokalypse, wie sie bei den lutherischen Theologen der früheren Jahrhunderte gewöhnlich ist, nicht haltbar gefunden. Daß zwar Antichristen genug vorhanden seien, aber der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, der Widerwärtige, von welchem 2 Thess. 2, 3. 4 geredet wird, noch nicht offenbart ist; also auch die tausend Jahre, Offenb. 20, die nach der Tödtung des Antichristus beginnen müßen, noch nicht begonnen haben können, und wir also noch immer in derselben Wartezeit stehen, von der 2 Thess. 2, 3 geredet wird, scheint mir ganz plan und einfach. Der Antichrist kann, so viel wir sehen, jeden Tag erscheinen, und wenn er erscheint, beginnt das Ende, und der HErr wird kommen und thun, wie Er gesagt hat. Wir warten mit den Aposteln darauf alle Tage. Der Widerspruch, den manche rücksichtlich dieser Erwartung auf Grund der Pflicht erheben wollen, nach welcher wir Christum allezeit zur allgemeinen Auferstehung der Todten und zum jüngsten Gerichte erwarten sollen, verliert die Bedeutung vor dem Auge derjenigen, die alles in Erwägung ziehen, was geschrieben steht. Es gibt eine allgemeine Auferstehung und ein jüngstes Gericht, und jedes Wort, was davon geschrieben steht, bleibt wörtlich wahr. Aber auch andere Worte der heiligen Schrift von nicht minderer Klarheit als die, welche vom jüngsten Gerichte reden, sind und bleiben wahr, so wie sie geschrieben sind, vereinigen sich aber auch mit den ersteren

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite VIII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)