Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres | |
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dem HErrn Gold, Weihrauch und Myrrhen dar. Ob sie Ihm diese Dinge darboten, weil sie dieselben grade hatten, oder ob sie Ihm diese ihre Gaben mit Absicht und mit Sinn und tiefer Deutung gaben, das wißen wir so wenig, als andere Umstände unsrer Textgeschichte, als z. B. der Weisen Namen, Zahl und Stand. Aber mögen sie ihre Gaben gedeutet haben oder nicht, wir deuten sie jeden Falls richtig, wenn wir mit der heiligen Kirche von den Weisen singen:
„Sie zeigen mit den Gaben drei,
Dieß Kind Gott, Mensch und König sei.“
Jeden Falls liegt in dieser Deutung der Weisen und aller gläubigen Heiden volle Herzensmeinung ausgelegt, − und der Deutung beistimmend, möchte man gerne, wenn es möglich wäre, den Weisen zu ihren längst dargebrachten Opfern und Gaben freudigen Zuruf bringen. Reichet, liebe Weisen, reichet dem heiligen Knäblein Gold − denn dieß ist der König der Juden, dem der HErr den Thron Seines Vaters David gegeben hat, der da herrschen soll von einem Meer bis zum andern. Reichet dem Könige Gold, − Gold ziemet den Königen! − Bringet Ihm Weihrauch dar, ja Weihrauch! Und wenn ihr nur so recht, so völlig klar gewußt hättet, was wir seit dem ersten Ostertage wißen, ihr hättet Ihm den Weihrauch nicht kalt dargebracht, ihr hättet ihn angezündet: denn dieß Knäblein ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben, und der Weihrauch, der zu Ihm kommt, muß drum brennen und kommen zugleich mit dem, was er andeutet, nemlich mit den Gebeten der Heiligen! Und ja, vergeßets nicht, gebt dem Könige, dem hochgelobten Gottessohne, gebt Ihm Myrrhen, bittre Myrrhen. Das that drei und dreißig Jahre später auch Nikodemus, er brachte Myrrhen und Aloe untereinander bei hundert Pfunden, Seinen Leichnam zu salben. (Joh. 19, 39.) Thut, wie Nikodemus, bringet Myrrhen dem frommen Lamme, denn Sein Leib wird gequält werden und sterben und begraben werden, bittere Salben werden den bitter Gequälten umduften auf Seinem Ruhebette am großen Sabbath. Da wird mans merken, daß der König, der Gottessohn auch Mensch sein mußte, ein leidenvoller, sterbender Mensch, − und das weißagend gebet Ihm Myrrhen!
Wie es einem wohlthut, geliebte Brüder der Heiden Gaben also deuten zu dürfen und mit ihnen im Geiste gemeinschaftliche Sache zu machen. Wir sind so ganz in einer und derselben Lage! Gewis, wenn wir Ihn kennen und Ihn lieben, wie wir sollen, wir möchten Ihm, der um unsertwillen arm geworden ist, so gar arm bis in den Tod hinein, gerne alles unser Irdisches darbringen, damit wir um Seinetwillen wären, wie ER um unsertwillen war. Aber Er weist nun unsern Gaben einen andern Weg, und allein den Weisen war es gegönnt, Ihn persönlich mit ihren irdischen Gaben zu ehren. Nun ist ER längst gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe, und der Vater hat Ihm gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden und all Seinen Reichtum und all Seine Kinder, auch uns − und wir sind nun Sein und selber mit Leib und Seele, mit Hab und Gut Sein kleines Opfer und können Ihm mehr nicht geben. Möchten wir uns nur von ganzem Herzen freuen, Sein Opfer und Sein Eigentum zu sein!
Wir haben uns, liebe Brüder, die Begebenheit vergegenwärtigt, welche wir heute feierlich begehen, welche man schon über fünfzehn hundert Jahre feiert, welche man im Altertum mit höchsten Freuden begieng. Es ist eine schöne, eine liebliche Geschichte, so voll Lebens und doch so stille geschehen; aber warum feiert man sie so sehr? Es ist eine Offenbarung, eine Epiphanie d. i. eine Erscheinung des HErrn, nach St. Pauli Worten: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.“ Allen Menschen − das glaubten die Juden nicht gerne. Viele Juden meinten, wenn der Messias käme, würde Er die Völker bezwingen und alle Heiden zu Judensclaven machen, die an Israels ewigem Erbe kein Theil bekommen dürften. Andere meinten, es müßten dann die Heiden wenigstens erst Juden werden, ehe sie an dem Heile des Messias Theil bekämen. Das ist nun alles anders, wie wir sehen. Hier sind Heiden, nicht beschnitten, nicht in Gemeinschaft mit Israel, und doch Sein, von Ihm wunderbar berufen, zu Ihm wunderbar geleitet von Ihm reich gesegnet, Ihm ganz ergeben, ganz Sein. Hier sehen wir im Anfang und im Kleinen, was hernach im Großen geschah und noch geschieht; es fallen die Zäune, aus Zweien wird Eins; da ist kein Jude noch Heide, sondern aus Juden und Heiden eine selige Kirche Gottes. St. Pauli begeistertes Gotteslob,
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/75&oldid=- (Version vom 22.8.2016)