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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

dem Thurm zu stehen scheint und aus einer weiten Ferne leuchtet, wenn man zum Thurme kommt: dieser Stern gieng wirklich desselben Weges, wie die Weisen, und stand wirklich fest und unbeweglich über dem Hause seines HErrn und goß seine lichten Strahlen auf dasselbe nieder. Bei dieser Beschaffenheit des Sternes ist es in der That eine Thorheit, durch astronomische Berechnung seiner gewis werden zu wollen. Es war kein Stern, wie ein anderer Stern. Wann oder wo gehen Sterne des Himmels und stehen, wie Menschenkinder? Es war ein Stern, zu besonderem Zwecke gegeben aus der Hand des HErrn, gekommen und entschwunden, wie es sein Beruf erheischte, den Weisen wohlbekannt, seit jener Zeit von niemand mehr gesehen und erkannt, − der Leitstern der Weisen, der Lieblingsstern aller Heiden. Als sein helles frommes Licht in die Augen der Weisen fiel, wurde es in ihren Herzen hell und sie wurden, wie der Text sagt, „hocherfreut“. Nun war es wieder heimathliches Morgenland auf dem Wege nach Bethlehem, Morgenland in Bethlehem, süße Heimath im Hause, über welchem der Stern stand. Da war der Stern und den er bedeutet, Weißagung und Erfüllung reichten einander die Hand. Jetzt mochte Israel, Jerusalem, Herodes sagen, denken, fühlen, was und wie sie wollten − jetzt konnten Windeln oder sammetne und seidene Gewande das Kindlein decken, es war alles gleich; ER war ja doch der neugeborene König, das neugeborene Heil der Welt war sicher und glücklich gefunden!

 O ihr gesegneten Magier, wer bei euch gewesen wäre! Ihr seid die glücklichsten unter allen Heiden, welche in den jugendlichen Tagen JEsu lebten! Euch konnten eure Mütter, Weiber, Kinder oder Freunde Glück wünschen bei eurer Heimkunft! In Zions Licht habt ihr den Weg gefunden zum Aufgang aus der Höhe und ihr konntet nun anbetend sprechen: „In deinem Lichte sehen wir das Licht!“ − Diese Weisen sind belohnt für ihren Gang, für ihre weite Reise. Israel, Jerusalem, Herodes haben ihnen alle Freuden abgetreten, welche sie selber hätten haben können. Israels Armuth ist hier zum ersten Male der Heiden Reichtum geworden, hier sind die Erstlinge in der Erfüllung von Jesaia sechzig. Ihr Erstlinge, gehet ein zu den stillen, seligen Pforten Seines Hauses, zu welchen kein Jude, kein Herodes, keine Bosheit nahen darf, zu welchen ihr selbst Herodem nicht führen dürfet, die ihr alleine kennet und euer Geheimnis tief verborgen heimtragen müßet in euer Heimathland!


 Sie gehen ein, − sie beten an, − sie opfern. − Laßt euch, Brüder, von niemand glaubhaft sagen, daß die Anbetung der Weisen eine solche gewesen sei, wie man sie im Morgenlande gemäß der Sitte jedem König darbringt. Daß dieser JEsus kein Erdenkönig ist, beweist sich von selbst aus des Hauses, aus der Mutter Armuth, aus allen Seinen Umständen. Daß er auch kein bloßer Erdenkönig, kein zweiter König David nach der irdischen Gewalt und Größe werden wird, daß die Weisen auch keinen bloßen Erdenkönig suchten, das beweist ihre ganze Führung von der ersten Erscheinung des Sternes bis zur zweiten, beweist die Offenbarung, die sie hatten, beweist der wunderbare Stern, beweist der große, wunderbare Eindruck, den sie von allem und allem in ihr Herz bekamen. Das alles war viel zu groß für jeden werdenden Erdenkönig, selbst für den größten. Die ganze Geschichte ist Bürge, daß die Weisen, wenn auch noch unbestimmtere, doch aber weit und hoch reichende Hoffnungen von diesem Kindlein hatten, daß sie einen Gesalbten Gottes, einen ewigen König und Erlöser in Ihm gefunden zu haben versichert waren: ihre Anbetung ist die ahnungsvolle Anbetung eines großen Gottessohnes. Sie beteten an − und was ihnen von den Hirten, von Joseph, von Marien selbst mitgetheilt wurde, wird ihre Seele auf eine Höhe des Glaubens erhoben haben, von welcher sie hernachmals die langjährige tiefe Stille des Gerüchtes von JEsu so wenig wird herabgestürzt haben, als das Gerücht von dem Blutbade Herodis in Bethlehem oder, wenn sie das erlebten, das Gerücht von dem Tode Christi am Kreuze. Ohne Zweifel lernten die ernsten Männer an der Krippe, an der Wiege Christi den Hochgelobten viel zu gut kennen, als daß sie durch irgend etwas um die Zuversicht hätten gebracht werden können, er könne nimmermehr umsonst geboren, nimmermehr unverrichteter Dinge gestorben sein. Laßen wir uns durch nichts der Weisen Licht und Glauben verringern! Erkennen wir fröhlich in ihnen Glaubensgenoßen, Christen aus den Heiden, wie wir selbst sind, und freuen wir uns, daß wir in ihnen so frühe Stellvertreter fanden, die dem HErrn unsere und aller Heiden anbetende Huldigung bringen durften. − Sie brachten

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 063. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/74&oldid=- (Version vom 22.8.2016)