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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Name weist deshalb, so gewis die engelische Deutung richtig ist, auf die Menschwerdung. Er weist auf den HErrn als auf einen, der grade das ist, was Er sein muß, − nemlich Gottes und Marien Sohn, ewiger und zeitlicher Abkunft, der sich von ewigen Höhen im tiefen Jammerthale der Menschheit einstellt, nach eigenem Vorsatz, versteht sich; denn wer könnte bei einer Person, wie diese ist, von Nöthigung sprechen. Es ist ein großer, reicher, tiefer Name, der auch gewis niemandem zuzueignen ist, als dem Jungfrausohn in Bethlehem. − Aber je mehr wir das einsehen, eine desto größere Kluft scheint auch zwischen dem Namen und der Erscheinung JEsu an Seinem Geburts- und Beschneidungstag zu sein. Der große Name, der Wundername, der Gottes- und Menschenwesen, Gottes- und Menschenwerke in einem Athem ausspricht, − und der arme Säugling in Windeln, auf Heu, im Stall, heute blutend, weinend, beschnitten: wie paßt das zusammen? Wenn man es nicht recht gewis wüßte, daß der Name diesem, grade diesem und keinem andern Knaben gehörte, man würde aus den armseligen Umständen der Geburt und aus dem Leiden der Beschneidung den Schluß machen, daß er einem andern gehören müße. Weil mans aber so gewis weiß, weil man den Namen und seine Deutung, und die Warzeichen, Krippe und Windel, aus einem und demselben Mund erfährt, aus Engelmund: so ist man berechtigt und genöthigt, zu glauben, daß die armseligen Umstände, in denen wir den heiligen Knaben sehen, eben so wie der Name auf göttlicher Vorherbestimmung beruhen, daß in Leid und Armuth kein Widerspruch gegen den großen JEsusnamen liegen kann, daß im Gegentheil der HErr, welcher diesen Namen trägt, zu dem Ziele, das der Name andeutet, durch Leid und Armuth vordringen müße. So ändert sich dann auf einmal unsre ganze Ansicht! Die Kluft, welche zwischen dem Namen und den Umständen der frühen Jugend JEsu liegt, wird mit Bewunderung und Anbetung ausgefüllt, − und die Wißenschaft von der nothwendigen Erniedrigung des HErrn lehrt uns, Ihn grade am Tage der Geburt und der Beschneidung mit besonderer Inbrunst unsern HErrn JEsus zu nennen, und gegen alle Welt zu behaupten, daß Er in den tiefsten Thalen Seiner Leiden des hohen Namens nicht minder würdig ist, als heute, an dem Gedächtnistage Seiner Beschneidung, da Ihn nach längst vollbrachter Leidensarbeit alle Millionen Engel und Auserwählte mit unaussprechlicher Lust bei Seinem JEsusnamen rufen. Brüder, treten wir im Geiste mit hin zur heiligen Handlung der Beschneidung Christi − und während wir auf Ihn schauen, als wäre Er vor uns in blutigem, schmerzlichem Leid, wollen wir Ihn anbeten mit den Worten des heiligen Apostels: „Ob Er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt Ers nicht für einen Raub Gott gleich sein; sondern äußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Er niedrigte Sich Selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat Ihn auch Gott erhöhet und hat Ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind und alle Zungen bekennen, daß Jesus Christus der HErr sei zur Ehre Gottes des Vaters.“ Und wenn uns diese Anbetung mit Worten, die der heilige Geist gelehret, über die Welt erhoben hat, wenn in uns nichts lebt als ER, wie Er erniedrigt und erhöhet ist, − dann wollen wir Seinen Namen nennen vor Seinem Angesicht, in seliger Beschauung, und erfahren, daß dieser Name, der während seiner Niedrigkeit ein Zeugnis Seiner verborgenen Herrlichkeit gewesen, nach Seinem Siege geworden ist der süßeste Lobgesang auf Seine Person und Sein Werk, der kleinste aber auch wohl der größte Dankpsalm der Menschheit, die Er selig gemacht hat von ihren Sünden.

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 So höre ich auf, von Seinem Namen zu reden, − und wünschte mir, daß all mein Amt und Thun verklärt würde zu einer Predigt von dem Namen JEsus und von dem HErrn JEsu. Am 25. Dezember sahen wir den Eingang JEsu, und alle Engel Gottes beteten Ihn an. Der heutige Tag, Sein Schmerz und Blut und Seine Verpflichtung deuten auf den Ausgang des HErrn. Gesegnet sei, gesegnet ist Sein Eingang und Ausgang von nun an bis in ewige Zeiten! So lange die Sonne und der Mond währet, wird man Seinen Eingang und Ausgang segnen − und Sein Name wird groß sein über alle Namen, auch wenn weder Sonne mehr scheint noch Mond: Sein Namenstag wird lieb und werth sein denen, die nicht mehr nach Tagen, sondern nach Ewigkeiten ihr Leben zählen. Wir auch wollen diesen Namen lieben! Er sei auf den Lippen des Säuglings, auf den Lippen des Sterbenden, −

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 050. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/61&oldid=- (Version vom 22.8.2016)