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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Ruh und Freude, in Sieg und Triumph verwandelt wird: der Fels, an welchem Seiner Widersprecher Freude ewiglich verstummen und in Klagen und Jammern verwandelt werden muß!


 3. Es ist hier nachzudenken, liebe Brüder! Ich beschrieb euch das Kirchlein, welches im Tempel von Jerusalem seine Feierstunde hielt; ich sagte euch, jenes Kirchlein sei ein Bild und Theil der ganzen Kirche: wünschtet ihr nicht auch, zu dieser Versammlung von Heiligen und Seligen zu gehören? Ich stellte euch JEsum vor die Augen, den Fels des Heiles: verlanget ihr nicht alle, an ihm Theil zu haben? − Wahrlich, liebe Brüder, beiderlei Wünschen und Verlangen ist eines: wer nicht zur Kirche gehören will, gehört nicht zu Ihm; wer nicht zu Ihm gehört, gehört nicht zur Kirche. Er und Seine heilige Braut, Seine Kirche, sind Eins: beide umfaßen alle Heiligen Gottes immerdar. Soll aber eure Sehnsucht hinausgehen, wollet ihr ihm und ihr wirklich angehören, so richtet euch nach dem, was ihr aus diesem Evangelium gelernt habet.

An Ihm aufstehen von Adams Fall, das ist das erste, was allen Noth thut, die Ihm und Seiner Kirche angehören wollen.
Ihn bekennen, Ihm lobsingen, wie Simeon und Hanna thaten, ist das zweite.
Mit Ihm den Widerspruch erdulden und das Schwert nicht scheuen, das durch das Herz der heiligsten Mutter drang, das ist das dritte.

 An Ihm auferstehen, vergeßt das Erste nicht, meine Brüder! Gefallen sind wir − wir sind geboren als gefallene Kinder unsers gefallenen Vaters Adam. Wer aufstehen soll, muß das vor allem erkennen. Der steht gewis nicht auf, der, am Boden liegend, sich einbildet, er stehe. Nur wer weiß, daß er liegt, wem seine Lage nicht gefällt, wer seinen Zustand gerne ändern möchte, der langt nach dem Stein und Fels, an dem er liegt, um sich an ihm aufzurichten. Man sollte denken, es sei leicht, seinen Fall zu erkennen: ist denn nicht in allen Menschen von dem Fall her ein unüberwindliches, dumpfes Weh, eine Unzufriedenheit und ein bitteres Entbehren, in welchem zugleich ein böses Gewißen ist? Und doch ist es so schwer, seinen natürlichen Zustand zu erkennen! Man kann tausend und aber tausend kleinere und größere Fehler in seinem Leben finden und erkennen, ohne in den Herzensboden, aus dem alle Sünden kommen, den rechten Blick zu haben. Die Erkenntnis, daß wir verderbter Art sind, durch welche die Erkenntnis einzelner Sünden erst volle Wahrheit bekommt, wird vom HErrn gegeben, oder man bekommt sie nie, − gegeben durch das göttliche Wort oder durch nichts. Das Wort ist unter euch − es ist schon so lange, daß ich, einer unter vielen vor und nach mir, es predige: und ihr seht noch nicht euern Fall? wißet noch nicht, daß ihr nicht stehet, nicht gehet, sondern lieget, unnütz, schwach und untüchtig zu allem Guten seid? Wie soll dann mein Evangelium des Friedens euch angenehm geworden sein? Wie sollt ihr dann auferstanden sein am Fels eures Heiles, an dem ihr lieget, der euer und eurer Hand harret, und euch zum Anhalt dienen will, seitdem ihr euch von ihm entferntet, der euch Leben und Auferstehung bietet, wie am Tag eurer Taufe?! Ach, der Glaube, durch welchen man die Hand ausstreckt, um sich am Fels aufzurichten zu einem neuen Leben, kommt nicht vor der Buße und nicht ohne Buße: ohne Buße kein Glaube, wiewol manche Buße ohne Glauben! Der HErr erbarme sich doch euer, zeig euch eure Sünden, euren Fall, und mach euch süß den Felsen des Heiles und richte euch an ihm auf!

 JEsum bekennen, ist das Zweite, was unser Text den Gliedern der Kirche zuschreibt. Seid ihr Sein, so bekennet ihr Ihn! Wäret ihr Sein, so bekennetet ihr Ihn! Wo ist ein Gläubiger, der Ihn nicht bekennt? Wo ein Feuer, das nicht leuchtet? Kann Simeon, kann Hanna, können die Hirten von Bethlehem von dem schweigen, den sie erkannten? Ists möglich, das Heil des HErrn erfahren und schweigen? Wer ja sagen will, der sage es; ich will nein sagen und betheuern, daß kein Gläubiger stille sein kann. Wozu hätte ihm der Herr Mund und Zunge verliehen? Wer des HErrn ist, der bekennt, − der bekennt vor seinen Freunden und vor jedem Feinde; der schämt sich des Evangeliums nicht, sondern sagt es frei heraus, daß Er zur Kirche Deßelben gehöre, er mag drum gelobt oder gescholten werden, Leiden oder Freuden ärnten, Vortheil oder Nachtheil; der zieht nicht zurück, wenn ihn Vorgesetzte darum anschnauben und verachten, Gleichgestellte höhnen, Untergebene Achtung, Pflicht und Gehorsam aufsagen. Man kann nicht leben ohne Odem, man ist nicht Christi

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 045. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/56&oldid=- (Version vom 22.8.2016)