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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

er redet; sondern auch zum Frevler, der nicht mehr Demuth, Sanftmuth, Geduld, Liebe und Frieden haben oder üben kann! Die Zahl eins ist ihnen unleidlich, denn sie behaupten, dieselbe fache Krieg an und sei wider die Einigkeit! Ein Quodlibet des Glaubens alleine scheint ihnen Einigkeit zu verbürgen! Jede Lehre dulden, nicht leicht etwas hoch aufnehmen in der Lehre, nichts genau nehmen im Betreff göttlicher Gedanken – das nennen sie Demuth und Sanftmuth und Geduld und Liebe und Frieden. Warum kümmern wir uns denn um solches Geschwätz? Warum soll denn der Wahn die gesunden Sinne bethören? Und warum läßt man sich irren, wenn man im guten Gewißen die Straße des Heiligen Geistes zieht? Es ist ja doch nur Ein Gott und darum, so wahr Er lebt, nur Eine Wahrheit, und darum nur Eine Lehre und Ein reiner Glaube! Das ist und bleibt wahr am Tage des Gerichts! So laß sie unrecht reden, schelten und sündigen, die Feinde der heiligen Kirche: sie brechen ja die Einigkeit, weil sie die Wahrheit nicht wollen! Du brichst sie durch Bekenntnis nicht; du lockst und rufst vielmehr herzu zur Wahrheit! Bete für die Feinde, denn es sind Feinde, die den Einen Leib des HErrn anfeinden! Trage sie, wie sie getragen werden sollen! Bescheide dich! Entschuldige, was ohne Lüge entschuldigt werden kann! Uebe Liebe in Wahrheit und sei zufrieden, daß die Welt und die sie und Gottes Kirche nicht erkennen, sich mit jener wider diese vereinen! Sei zufrieden – denn anders ists nicht und wirds nicht, so leid dirs thue!


Am achtzehnten Sonntage nach Trinitatis.
1. Corinth. 1, 4–9.

 WEnn man die Briefe des heiligen Paulus an die Corinther mit der Absicht liest, sich ein Bild jener berühmten Gemeinde zu verschaffen; so liest man mit Verwunderung Ermahnungen und Warnungen, welche auf bedeutende Flecken jener Gemeinde schließen laßen. Und doch kann auch wieder das nicht Schmeichelei und Lüge sein, was der heilige Apostel in unserm Texte von der Herrlichkeit jener Gemeinde sagt. Ohne Zweifel war also auch jene Gemeinde ein Waizenfeld, auf dem auch Unkraut wucherte, − d. h. sie war, wenn auch vielleicht dem Grade nach doch verschieden, der Art nach unsern Gemeinden gleich. − Es ist das freilich eine Behauptung, die nicht sonderlich mit dem übereinstimmt, was auf so vielen Kanzeln von den ersten Gemeinden gepredigt wird. Aber doch geht die Behauptung nicht von Neid und ungerechter Quelle aus, sondern im Gegentheil, sie ist gerecht: sie gibt und läßt einer jeden Zeit das Ihre − und übersieht nur in keiner die vorhandenen Gegensätze. Es fragt sich nur, ob die Behauptung wahr ist! Und das eben ist es, was wir durchs Urtheil unbefangener, aufmerksamer Leser bestätigt wünschen − und bestätigt sehen werden. Ist aber die Behauptung wahr, so ist sie auch tröstlich. Nicht daß wir uns mit den Fehlern Anderer trösten wollten und gewisser Maßen Schadenfreude hegten, sondern was wir tröstlich finden, ist das, daß eine Gemeinde Flecken haben und doch Sein sein kann, daß Er die Sünder nicht bloß sucht, sondern auch bei ihnen helfend und heilend bleibt. Und brauchen denn wir armen Sünder diesen Trost nicht? Wird er uns etwa im Guten lähmen oder vielmehr die matten Hände stärken?

 Diese gemischte Gemeinde von Corinth wird nun ohne Unterscheidung ihrer heiligeren und unheiligeren Glieder angeredet. Unser Text spricht, als gälte es allen, von den reichen Gnaden, welche über sie ausgeschüttet seien, und versichert, die Gemeinde von Corinth bedürfe nur Treue bis ans Ende und die Vollendung des jüngsten Tages. Haben nun etwa die Gottlosen ein Recht gehabt, dieß auf sich zu ziehen? Gewis nicht! Im Gegentheil, es muß ihnen gewesen sein, als kenne sie der Apostel nicht, als rechne er sie nicht, so lange er von der Herrlichkeit der Gemeinde redete. − Und wenn hernachmals die Warnungen an alle ergehen, die Bestrafung über alle kommt: wie dann? Wird ausgelöscht, was unser Text sagt? Wiederum nicht! Die Frommen werden gedemüthigt − und es wird ihnen gezeigt, daß einer des andern Hüter sein sollte, daß einer für des andern Thun und Laßen in gewissem Maße verantwortlich ist. Sie werden zu Fürbitte, Liebe, Vermahnung und Seelsorge getrieben! Einst kam ein Lehrer in eine Schule, wo die meisten

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/547&oldid=- (Version vom 1.8.2018)