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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Am eilften Sonntage nach Trinitatis.
1. Corinth. 15, 1–10.

 WIllst du wißen, was Evangelium sei? Sieh in den Text. St. Paulus will die Corinther nach V. 1. erinnern des Evangelii, das er ihnen verkündigt habe, − und V. 3. 4. bringt er seine Erinnerung: „Ich habe euch zuvörderst gegeben, welches ich auch empfangen habe, daß Christus gestorben sei für unsre Sünden nach der Schrift, und daß Er begraben sei, und daß Er auferstanden sei am dritten Tage nach der Schrift.“ − Da hast du das Evangelium, welches gewis ist vor aller Welt; denn der todt war und auferstanden ist, hat ein vielfaches Zeugnis der Menschen für sich. Von Seinem Tode waren Zeugen alle Kinder Israel, welche zum Feste in Jerusalem versammelt waren, als Christus starb. Und Seiner Auferstehung Zeugen sind mehr denn fünfhundert Menschen geworden, − treue Menschen, denen keine Lüge zuzutrauen, − denen schon deshalb keine Lüge zuzutrauen ist, weil ihr einstimmiges Zeugnis so vielstimmig ist. Es hat aber auch ein Zeugnis, welches noch bedeutender ist, denn es bezeugen dessen Wahrheit Millionen, die nicht mehr auf Erden sind, aber dennoch selig geworden sind durch dies Evangelium. Der Himmel bezeugts, daß das Evangelium wahr ist! Alle seine Bewohner reden dafür!

 Und unter denen, die auf Erden Zeugnis geben und im Himmel Zeugnis geben, ist einer, dem die Ungläubigen, wie die Gläubigen mit besonderem Vertrauen sich hingeben dürfen. Es ist der ungläubige, der schnaubende Saulus, der Verfolger, der sich über den Tod des heiligen Stephanus freute, der Christen und Christinnen hervorzog, daß sie geplagt würden! Es ist der gläubige, der brünstige Paulus, der gearbeitet hat, wie keiner, von dessen Arbeit die ganze weite Welt Zeugnis ablegt, der an jenem Tage am meisten Garben einbringen wird in Gottes Scheuer. Der hat den HErrn, der todt war, als eine unzeitige Geburt, d. i. im Stande des Unglaubens, gesehen und ist durch Sein Anschauen zugleich in Nacht und Licht gesetzt worden! Ein solcher Feind zu JEsu Füßen, als Herold vor Seinem Thron, als Prediger des Evangeliums! Das wirkt Vertrauen!

 Der Wolke Zeugen laß uns glauben und annehmen ihr ewiges Evangelium, durch welches auch wir werden „selig werden, welcher Gestalt es uns verkündigt ist, so wirs behalten.“


Am zwölften Sonntage nach Trinitatis.
2 Corinth. 3, 4–11.

 DAs Amt des neuen Testamentes“ − welch ein Name! Es gibt allerlei Aemter unter den Menschen, aber welches unter allen könnte sich eines Namens rühmen, wie der Name ist des Amtes eines Dieners Christi. Es ist ein Amt „nicht des Buchstabens “ − nicht des Gesetzes, welches dem Menschen nur auf steinernen Tafeln vor Augen und Gewißen gelegt wurde, ohne daß er es mit Lust und Liebe sich zu eigen machen und darin leben konnte. Es ist ein Amt „des Geistes“, so genannt, weil es „den Geist gibt“ durch die Predigt des Evangeliums. Es nimmt dem Sünder Unlust und Mistrauen und füllt ihn mit Lust und Vertrauen und Lieb und Kraft, macht aus ihm einen andern, stellt in ihm Gottes Bild, in der Welt die Kirche, auf Erden Gottes Paradies her.

 Welch ein Amt! Kein Mensch ist zu ihm tüchtig von Natur. Es ist des Geistes Werk, so jemand tüchtig ist. Und wer ist darin treu! Wer zittert nicht? − Geh an die Sterbebetten der Kinder, die in der Taufe Gnade sterben, − geh zu den Leuten, die in bescheidenem Lebensberufe dem ewigen Leben nachjagten, zu den Zuhörern, zu den gläubigen Kirchkindern! Sieh sie sterben! Ach wie schön, wie leicht ists oft!

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/542&oldid=- (Version vom 1.8.2018)