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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Pfarrkinder freuen, wenn sie zum Fest eßen, trinken und spielen, so haben sich die ersten Christen nicht gefreut. Das ist keine Freude im lebendigen Gott! Sagt, was ihr wollt, ihr redet wider beßeres Wißen und Gewißen. Ihr eßet und trinket zu gut für eure Umstände und zu viel. Eure Gespräche dabei sind nicht Danksagung, nicht Liebe Christi, sondern Gott wird vergeßen, Sein Wort verspottet, unzüchtig geredet, mit Flüchen und Schwüren Speise und Trank gewürzt. Und euer Spielen, euer Singen und Jauchzen und Springen! Ich gönne einem jeden die Freude ohne Sünde. Aber geht mir mit euerm Spielen − ihr sündigt. Ihr sündigt − und das ist eure Festfeier, auf die ihr euch lang vorher freuet! Ihr werdet euch doch nicht im Ernste mit den ersten Christen und den frommen Israeliten vergleichen? Ihr werdet es doch am Ende in euerm Gewißen zugestehen müßen, daß ihr an Gottes Festen dem Teufel dienet; denn Gott hat doch daran kein Wohlgefallen. So seid ihr Abgöttische, − so passt auf euch Pauli V. 6. das Wort: Ja, ja! „das ist euch zum Vorbild geschrieben“ − und ich wollte ihr läset das ganze Capitel und besännet euch eines Beßeren.


Am zehnten Sonntage nach Trinitatis.
1. Corinth. 12, 1–11.

 ES gibt ordentliche Gaben des Heiligen Geistes und außerordentliche. Die ordentlichen Gaben des Heiligen Geistes − sind diejenigen, welche zum ewigen Leben nothwendig sind und in der Ordnung des Heils gegeben werden. Sie sind nöthig und wehe dem, der ihrer nicht achtet; wohl aber uns allen, daß wir sie alle empfangen können. Die außerordentlichen Gaben des Heiligen Geistes werden von manchen ganz eigen angesehen. Sie nehmen die Bezeichnung „außerordentlich“ immer nur gleichbedeutend mit „erstaunlich, übernatürlich, wunderbar.“ Sie denken dabei immer nur an die Gabe der mancherlei Sprachen und an die Gabe zu heilen und an die Gabe der Weißagung. Und weil sie weiter nichts für außerordentliche Gaben halten, so behaupten sie, ohne Widerspruch zu fürchten: Die außerordentlichen Gaben seien zu Ende, seitdem die Kirche Christi aufgerichtet sei, sie hätten nur zur Aufrichtung der Kirche gedient. Und doch ist das, so allgemein hingesagt, falsch. Außerordentliche Gaben sind doch zunächst nur solche, welche zum ewigen Leben nicht durchaus nöthig sind, welche im Seelengang des Christen nicht eben erforderlich sind. Dagegen sind alle die Gaben, welche der Apostel V. 8 ff. außer jenen hervorragenden Wundergaben nennt, doch auch, außerordentliche Gaben und zur Leitung der Kirche und Gemeinde erforderlich. Zu reden von Weisheit und Erkenntnis, und Auslegung der Sprachen sind heut zu Tage noch Gemeindegaben, die etliche, aber nicht alle haben, die zwar Aehnlichkeit mit puren Verstandesanlagen des natürlichen Lebens haben, aber doch von ihnen wieder verschieden sind. Auch gibt es ihrer noch mehr, als hier angezeigt sind, wie eine Vergleichung der heiligen Schrift lehren kann. − Wer es mit der Kirche Gottes gut meint, der betet, daß die außerordentlichen Gaben nicht von ihr genommen werden, denn wo sie neben den ordentlichen im Schwange gehen, da gibt es glückselige Zeiten der Kirche und Gottes Stadt leuchtet auf ihrem Berge weit in die Lande. Wo hingegen die rechten Wundermänner fehlen, da fehlt der Kirche zum mindesten jenes äußerliche Gedeihen, welches ihr zum Heile der Menschen doch jeden Falls auch zu gönnen ist.

 Möge die Zeit bald kommen, wo die Braut des HErrn, seis auch unter dem Widerspruch und Hohn der Welt, sich aufmacht in ihrer Herrlichkeit, um Dem entgegen zu gehen, der da kommt im Namen des HErrn! Möge sie mit allem Schmucke Seiner Gaben geziert und erkannt werden als Seine Braut, als Seine Auserwählte für alle Ewigkeit!


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/541&oldid=- (Version vom 1.8.2018)