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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Geboten und Satzungen des HErrn untadelich.“ Er braucht es, wie es so oft im Alten Testament und namentlich in den Psalmen gebraucht ist. Wer im Glauben lebt, aus dem Glauben nicht fällt, seinem Glauben Wirkung läßt und Folge gibt, seines Glaubens würdig lebt, nicht nach der Unmöglichkeit der Menschen, sondern nach der Möglichkeit, dem ist von Petrus der Ruhm der „Gerechtigkeit“ beigelegt. Er ist eigentlich mit Paulo ganz einig: Paulus kennt nur durch den Glauben Gerechte, andere kennt Petrus auch nicht; beide kennen keinen rechtfertigenden Glauben, der nicht heiligte; aber Paulus bleibt bei dem, was auf alle Fälle dem Sünder erreichbar ist, und Petrus redet von dem, was ein Gotteskind erreichen kann. Paulus ist hingenommen von Christi vollkommener Gerechtigkeit und kennt nur sie, und ihre Strahlen sind alle Heiligungsbemühungen der Menschen. Petrus ist hingenommen von der ewigen Bestimmung der Gläubigen, Christo ähnlich zu werden. Jener versenkt den Menschen in Christum, dieser mehr Christum in den Menschen. − − Und was könnte man nicht alles Halbes, Einseitiges, für entschuldigende, nicht misverstehende Seelen Wahres von den beiden sagen! Es ist ja beßer, zu sagen, was völlig wahr ist: Paulus nennt gerecht den, der gerechtfertigt ist, − und Petrus nennt gerechtfertigt den werdenden Gerechten. Es ist ein Mensch, von dem sie beide reden. Mir fehlte gar nichts, wenn ich der Mensch wäre.


Am sechsten Sonntage nach Trinitatis.
Römer 6, 3–11.

 WEr gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde.“ − Selige Todte, die ihr von Sünden gerechtfertigt, losgesprochen, frei und fröhlich seid! Wer sich zu euch zählen dürfte, wie wohl wäre dem geschehen! Wer euch sein Volk nennen, sterbend zu euch, als seinem Volk gesammelt werden dürfte, wie wäre der so selig zu preisen! − − In Seligpreisungen und Lobeserhebungen dieser Todten ergieße dich, aber, Freund, suche sie nicht allein jenseits, denn sie stehen auch diesseits des rothen Meeres. „Ist Einer gestorben, so sind sie alle gestorben“, heißt es da. Denn in Christo gestorben, in Christo um ihrer Sünde willen gestraft, in Christo büßend sind alle Gläubige. Ihre gläubige Vereinigung mit dem HErrn macht sie alle Seines Leidens und Sterbens theilhaft. Sind sie aber Ihm gleich gerechnet im Tode, so sind sies auch in der Auferstehung; sie leben schon das Leben der Auferstehung im Glauben, ihr Glaube, nicht ihre Phantasie, gibt ihnen schon die völlige Gewisheit der Auferstehung. Und wie Christi Heiligkeit in Seiner Auferstehung strahlte, wie Er durch die Auferstehung von Gott von all dem losgesprochen wurde, was Ihm die Menschen aufgeladen, weshalb sie Ihn verurtheilt hatten, wie Er durch Gott in der Auferstehung von aller Gotteslästerung gerechtfertigt wurde; so sind alle Gläubigen durch Sein Auferstehen auch von allen Sünden gerechtfertigt, wie sie in Seinem Tode alle gestraft sind. Ein seliger Tausch zwischen uns Sündern und Ihm, unserm Stellvertreter. Wer ihn weiter ausgelegt finden will, der sehe, was Martin Luther von der Freiheit eines Christenmenschen schrieb. Es ist eine wunderbare Wahrheit, die in Menschenköpfen nicht entstanden ist, − eine Wahrheit, welche, wenn sie nicht von Gott in Gnaden dargeboten würde, von niemand ergriffen werden könnte und dürfte. Es gibt Menschen, die so was nicht faßen, − und es gibt Kirchen, die es nicht faßen. Es ist die begründetste Lehre, die es gibt, und kann keinen Grund und Boden beim Menschen finden. Alles in uns möchte nein sagen, − und alles möchte sich dawider auflehnen. Und doch ist die Welt und ihre Weisheit Eitelkeit gegen diese Wahrheit − und wenn sie nicht wäre, was wäre dann? − − Ich in ihnen − sie in Mir! Ich in ihnen Alles in Allem: Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung, Erlösung! Wir in Ihm − Theil nehmend und habend an Allem, was Er hat. Du wollest in dieser Wahrheit mich selber gründen und mich nicht entfallen laßen aus des rechten Glaubens Trost! Amen.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/538&oldid=- (Version vom 1.8.2018)