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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

iß, trink und habe guten Muth. 20. Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr, diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern, und weß wird es sein, was du bereitet hast? 21. Also gehet es, wer ihm Schätze sammelt, und ist nicht reich in Gott.


 IN diesem Texte wird uns die reiche Aernte eines reichen Mannes vor die Augen gestellt. Er war zuvor schon reich gewesen und hatte alles genug. Nun bekommt er noch eine reiche Aernte von seinem Felde und damit übergenug. War er zuvor schon glücklich und satt, so wird er nun mehr als glücklich und übersatt. Schon zuvor hatte er über dem zeitlichen Gute die edle Seele vergeßen und war irdisch gesinnt worden. Was wird nun aus ihm werden? – – Gott hat mit allen Menschen eine und dieselbe Absicht, nämlich sie selig zu machen. Und zur Erreichung dieser Absicht hat er zwar für alle Menschen nur ein Mittel, nämlich Seine Gnade in Wort und Sacrament; aber Er gebraucht doch auch mancherlei Hilfsmittel, wenn man diejenigen Dinge, welche in Verbindung mit dem Worte auf die Seele einen züchtigenden und erziehenden Einfluß haben können, mit diesem herrlichen Namen „Hilfsmittel des Heils“ schmücken darf. Diese Hilfsmittel kann man in zwei große Klassen theilen, deren einer man die Inschrift „Glück“, der andern die Inschrift, „Unglück“ geben kann. Dem einen gibt der HErr Glück, dem andern Unglück, je nachdem Sein allwißendes Auge dieses oder jenes einer Seele für zuträglicher erkennt. Dem reichen Manne hatte Er Glück gegeben, und da er vom Schauen ins Glück blind wurde für das Licht des ewigen Lebens, überschüttete Er ihn vollends mit Glück. Die Absicht war, die Seele mit Erdenglück zu ermüden, durch die schwere Last des Glückes aufzuwecken und nach Dingen fragen zu machen, welche nicht, wie Erdenglück, das Herz belasten, sondern ohne Sünde fröhlich und ohne Uebersättigung und Hochmuth reich machen könnten. Ob nun der reiche Mann Gottes Absicht merkte und ihr sein Herz eröffnete, oder nicht, das müßen wir aus dem Texte lernen, den wir lasen.

 Der reiche Mann kam durch seine reiche Aernte in Sorgen und in eine Art von Mangel. Aus dem Mangel wuchsen die Sorgen. Die Menge des Guts brachte nämlich Mangel des Raums, so daß er nicht wußte, wie er es unterbringen sollte. „Was soll ich thun? sagte er, ich habe nicht, da ich meine Früchte hinsammle.“ Das vergißt der Arme und Elende in seinen Sorgen so oft, daß die Armut und das Elend nicht allein der Boden für das Unkraut der Sorgen sind, sondern daß auch ein reich gedüngter Acker sein Sorgenunkraut bringt. Nichthaben oder haben, es ist beides Qual dem Geiste, der seine Fülle und Genüge nicht aus der Höhe bekommt. Wie sucht oft ein junger Mann aus der Armut sich emporzuschwingen, wie viel Kummer, Sorg und Schweiß hat er! Er meint, wenn er es bis zu einem gewißen Punkte gebracht haben werde, werde seine Qual aufhören, es müßten doch auch ruhige, stille Tage kommen. Und ist ihm nun sein Wunsch erfüllt, hat er, was er wollte, hat er gnug und mehr; so hat er doch wieder keine Ruhe bei Tag und bei Nacht, das Gut plagt ihn und es geht ihm, wie dem Reichen in unserem Text: vor lauter Schauen in und vor lauter Sorgen für das Irdische verliert er alles zusammen, „heiligen Muth, guten Rath und gerechte Werke“ und das Brüten über seinem Erdensegen bringt ihm nichts als irdische Gedanken. Der Reiche sagt zu sich: „Das will ich thun, ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen.“ Nun ja, das war in der Ordnung. Wenn die bisherigen Schatzkammern die Fülle nicht mehr faßen, muß man größere bauen. Der Anfang der Entschlüße geht an und man könnte den reichen Aernter rechtfertigen. Aber wie weiter? „Ich will drein sammeln alles, was mir gewachsen ist und meine Güter.“ Das ließe sich auch noch vertheidigen, obgleich es einem ist, als rieche man schon aufgeblasenen, aufgedunsenen Hochmuth, als sähe man den Reichen schon mit seiner selbstzufriedenen Miene hinter den Wagen hergehen, welche in die neuen Scheunen einziehen. Aber nun erst kommen die schlimmeren Dinge. Was ist denn nun weiter, wenn die Schätze in den neuen Speichern sind? Wird nun der reiche Mann anfangen, in Gottes Namen hauszuhalten für die Armen? Nein, daran denkt er nicht. Er hat ein Zwiegespräch mit seiner armen Seele, aus welchem man ganz sieht, daß er alles sein Gut nur im Sinne der schmutzigsten Selbstsucht zu gebrauchen vorhat. Er will nicht wuchern, nicht mehr gewinnen, nicht einmal auf der bisherigen Bahn vorwärts streben, ach nein, er hat genug, er

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/528&oldid=- (Version vom 8.8.2016)