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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Freunde, freuet euch! Freuet euch, ihr und eure Kinder und eure Verwandte, die ihr von fern und nahe zum Freudenfeste geladen habt! Freut euch und jubelt, daß ihr so lange schon ein Gotteshaus habet und in demselben alle Segnungen des HErrn! Freuet euch, daß der HErr unter Euch wohnt, und abermals sage ich euch, freuet euch!

 So sehr ich euch aber zur Freude ermuntere, so halte ich es doch keineswegs für überflüßig, euch vor verkehrter Freude zu warnen. Vergeßet in diesen Tagen niemals, warum ihr euch freuet; trennt die Freude nicht von ihrer Quelle, nämlich vom Dank für die euch geschenkte Kirche. Wißet ihr, was ihr wollet, so könnet ihr euch unmöglich sündlich freuen. Heute kam JEsus in dies Haus, heute weihte Ers, um verlorene Menschen zu suchen und selig zu machen von ihren Sünden: wie könnt ihr also zur Kirchweihfeier Freuden wählen, die selbst Sünden sind? Könnt ihr mit Sünden euch freuen, mit Sünden dem Heiland danken, daß Er gekommen ist, um euch von Sünden zu befreien? Heute richtete Er diesen Taufstein auf, diesen Ort der Wiedergeburt, wo ihr den Bund eines guten Gewißens mit Gott schloßet und dem Teufel, seinen Werken und seinem Wesen entsagtet: und nun wolltet ihr zum Dank dafür des Teufels Werke thun und euern Taufbund brechen? Heute ist der Beichtstuhl in den stillsten Ort dieser Kirche gestellt worden: da besuchte euch der HErr einzeln und küßte euch mit dem Kuße des Friedens und der Vergebung: das zu feiern begienget ihr neue Sünden? Soll ich etwa alle heiligen Orte dieses Hauses, alle heiligen Handlungen, die in ihm verrichtet werden, durchgehen, um euch den widersinnigen Undank zu zeigen, der sich in sündlichen Kirchweihfreuden kund gibt? Es ist doch so klar und in die Augen fallend, daß für die heilige Gabe des Gotteshauses nur heilige Dankesfreude gehört! Warum wollt ihr euch freuen, wie das Volk Israel, zu welchem Mose sprach: „Dankst Du also Deinem Gott, Du toll und thöricht Volk!?“

 Ich weiß, meine Freunde, daß dieß für euch, wenigstens für manche unter euch, eine nöthige Warnung ist. Aber ich bin auch durch die Erfahrung belehrt, daß ich nicht auf den Gehorsam rechnen kann, der euch gegen Wort und Amt des HErrn von Ihm Selbst geboten ist. So will ich schon heute thun, was Hiob nach jedem Freudentage seiner Kinder gethan hat, ich will in meine Stille gehen und Opfer und Schalen voll Rauchwerks zurichten, auf daß ich für euch bete und die Hand des HErrn in Christo JEsu euch segnend zuwende. Der HErr verleihe, daß niemand von euch allen also sündige, daß er nicht wiederkehrete, daß er verbittert und verstockt würde! Die da sündigen, mögen das letztemal sündigen und der eklen Freude satt werden. Und was meine Seele für euch alle noch viel lieber betet und euch wünscht, das sei mir wenigstens an etlichen erhört, daß ihr nämlich weise werdet zum Guten, ehe die Versuchung zur Sünde kommt, daß ihr in der Versuchung bestehet, wenn sie kommt! Amen.




Am Aerntefest.
Luc. 12, 15–21.
15. Der HErr sprach zu ihnen: Sehet zu und hütet euch vor dem Geiz; denn niemand lebet davon, daß er viele Güter hat. 16. Und Er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, deß Feld hatte wohl getragen. 17. Und er gedachte bei sich selbst und sprach: was soll ich thun? Ich habe nicht, da ich meine Früchte hinsammle. 18. Und sprach: Das will ich thun; ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darein sammeln alles, was mir gewachsen ist, und meine Güter. 19. Und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrath auf viele Jahre; habe nun Ruhe,
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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/527&oldid=- (Version vom 8.8.2016)