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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und Wort und Sacrament auch an andern Orten sich finden könnten; aber sie finden sich nun einmal hier, hier am öftesten, am reichsten, und darum ist auch der HErr hier am liebsten, hier am reichsten. Und wie lang sucht Er nun hier schon Sein Volk heim! In Zachäi Haus war der HErr einmal, in diesem Haus ist Er über sechshundert Jahre der regelmäßigste Gast, ja ein Bewohner gewesen und so wie Er Selbst hier geruht hat, so ist der Friede und Segen weder zu zählen, noch zu wägen, den Er in diesem Hause, in diesen langen Jahrhunderten Seiner Anwesenheit gestiftet hat. Meine lieben Brüder! Es gibt Menschen, welche oftmals mit Spott und Hohn die Frage aufwerfen, was doch Kirchen und Pfarrer nützten? Wie viel hundert mal hat man diese Frage so beantwortet, daß man greifen konnte, nichts in der Welt sei überflüßiger, als Kirchen und Pfarrer. Und doch darf man, ohne nur auf die eigentlichen Segnungen einzugehen, welche vom Hause Gottes ausgehen, getrost auf alles das Böse hinweisen, welches durch ein Gotteshaus und durch das heilige Amt, das vor JEsu steht, verhindert wird. Mit dem vollesten Rechte hat jener Pfarrer auf die Frage, ob man Kirche und Pfarrer abthun dürfe, die Antwort gegeben, man solle dann wenigstens an die Stelle eines jeden Pfarrhauses drei Galgen setzen und er fürchte, sie ersetzten dennoch nicht einmal einen geringen Pfarrer. Wo die Weißagung aus ist, wird nach der Schrift das Volk wüste, und wenn nun trotz der Weißagung des Unkrauts und allerlei Bosheit viel ist, so begreife ich nicht, wie es ohne Weißagung, d. i. ohne Predigt werden sollte. Allein man braucht gar nicht so zu verfahren. Es ist eine Schande für einen Diener Christi und für einen christgläubigen Menschen, wenn er Kirche und Pfarre nicht beßer vertheidigen und die Anwesenheit Christi nicht kräftiger beweisen kann. Ist nicht eine jede einzelne Taufe und Absolution, jeder Segen, jedes Abendmahl weit segensreicher, als alle irdischen Segnungen der Welt? Ist nicht ein einziges Gebet einer versammelten Gemeine um Frieden, beßer als hundert Befehle, Frieden zu halten, wenn gleich Namen von Königen oder Kaisern über oder unter dem Gebote stünden? Ist nicht das Evangelium für Tausende und aber Tausende weit mehr als mans insgemein denkt, eine Aussaat guter Gedanken und Werke? Ich behaupte es und ich denke mit dieser Behauptung nicht zu Schanden zu werden. So weit es mit dem Christentum vor fünfzig Jahren heruntergekommen war und vielleicht an manchen Orten noch ist, so hat doch der Ueberrest von Segen, den man in Gotteshäusern holte und holen konnte, die Welt erhalten, und es würde alles noch viel schlimmer gegangen sein, als es gegangen ist, wenn nicht der Name des HErrn, Sein Segen, Sein Vater unser, Sein Glaube noch für den Riß gestanden wäre. Wenn die Todten, deren Gebeine da außen in den Gräbern ruhen, Zeugnis geben dürften, sie würden mir beistimmen, daß die Gotteshäuser zunächst an den Himmel gränzen und Vorhöfe des Himmels sind, in denen alles ewige Heil den Anfang nimmt, in denen Christus beständig auf die Menschen wartet, um ihnen Seine unaussprechlichen Gnaden und Hilfsleistungen zu gewähren. Welche Christenseele ist im Himmel vor Gott, die nicht entweder in einer Kirche wiedergeboren ist oder doch unzählige Segnungen von der Kirche her empfangen hat? Es wäre hier viel zu reden und sehr ins Einzelne zu gehen. Es sei aber genug, und es ist auch schon die Erwägung des Gesagten genug und hinreichend, um den Satz zu beweisen, daß Christus unsere Gotteshäuser, also auch dieß arme Häuslein, gnädiglich bewohnt und heimsucht, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist; daß auch unser Häuslein weit über Zachäi Haus begnadigt ist, seitdem es eingeweiht wurde.


 Ist nun das wahr, so besitzt eine Gemeine von armen Sündern, wie wir sind, an einem Gotteshause einen herrlichen und großen Schatz, und der Tag, wo ihr Gotteshaus eingeweiht ist, wo JEsus einzog, ist mit vollem Recht ein hohes Freudenfest für sie, er soll im Andenken bleiben und gefeiert werden unter den Festen des Jahres. Kein Fest des HErrn JEsus, kein Sonntag, keine wöchentliche, keine tägliche Gebetszeit wird da recht gefeiert, wo die Kirche fehlt. Man gehe nur in die Orte, wo keine Kirchen sind, man vergleiche nur den Zustand der Bevölkerung mit dem Zustand der Einwohner eines Pfarrdorfes: man wird bald inne werden, was für ein großer Unterschied durch eine Kirche und die Anwesenheit eines Pfarrers gegründet wird. Wohl dem Dorf, welches ein Gotteshaus und einen Seelsorger besitzt! Ein solches lobe den HErrn am Tage der Kirchweihe und freue sich hoch, als über allerlei Reichtum. Auch ihr, meine

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/526&oldid=- (Version vom 31.7.2016)