Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/525

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

HErrn einen solchen Eindruck machte, wie auf Zachäus. „Siehe, HErr, spricht er, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und so ich jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder.“ Aus diesen Worten ist gewis der größte Ernst merkbar, dem HErrn JEsu nachzufolgen. Nicht nur gesteht Zachäus auf eine keineswegs undeutliche Weise seine Sünde, sondern er übt auch die Pflicht der Wiedererstattung auf eine Weise und in einem Maße, welche seine Reue und seine Begier, geheiligt zu werden, außer allen Zweifel setzen. Zachäi Haus war an sich kein Gotteshaus, aber ohne Zweifel wurde es durch seine wahrhaftige Aenderung und Beßerung zu einem Gotteshause. Wie stehts nun mit uns? Wird, ich will nicht sagen die Hütte, in welcher wir wohnen, sondern das Haus, in welches wir zur Anbetung kommen, durch unsere Buße so geziert wie das Haus Zachäi? Ich wollte, ich könnte mir die Freude machen, zum Preise des HErrn meine desfallsige Hoffnung von euch, meine Liebsten, auszusprechen; allein die Wahrheit verbietet es mir, zu sagen, daß meines Wißens irgend einer von uns allen seine Buße so bewiesen hat, wie Zachäus. Wenn deswegen Zachäi Haus und unser Gotteshaus den Vorzug vor einander durch die Besitzer gewinnen müßten, so sollte es schlimm um unsere arme Kirche stehen. Wir wollen aber sehen, was die Vergleichung ferner ergibt.

 Zachäi Haus wird von JEsu bemerkt, der HErr will vor demselben nicht vorübergehen, sondern einkehren, damit der Besitzer Zeit gewinne, den großen Propheten bequemer als vom Maulbeerbaume nach Herzenslust zu schauen; dazu will der HErr nicht leer kommen, sondern es soll dem Zachäus und seinem Hause Heil widerfahren, wie nur irgend einem andern Sohne Abrahams und deßen Hause; der HErr will in diesem Hause den verlorenen Zachäus und die Seinigen suchen und selig machen. Wenn wir das recht bedenken, so können wir das Haus Zachäi nicht anders als hochbeglückt und gebenedeit nennen. Zachäus sah das selbst nicht so im Lichte wie wir; er kannte den HErrn nicht und erkannte Ihn nicht, so sehr er Ihn in der Nähe beschaute. Hätte er gewußt, wer bei ihm Einlaß begehrte, wen er beherbergen durfte, sicherlich würde er sein Haus für nichts Geringeres geachtet haben, als für eine Hütte Gottes; er würde sich gefreut haben, wie Abraham, als der HErr mit den zwei Engeln zu ihm kam, ja wohl noch mehr, da ja der HErr zu ihm in keiner andern Absicht kam, als ihn und die Seinigen selig zu machen.

 So reich gesegnet nun das Haus Zachäi durch den Besuch Christi wurde, so ists doch gerade dieser Segen, um deßen Willen unser Gotteshaus hinter dem Hause Zachäi mit nichten zurückstehen muß, sondern hier wendet sichs. So gewis Zachäi Haus den Vorzug behält, wenn wir uns, unsere Heils- und Heiligungsbegier mit Zachäo und seinem Seelenzustand vergleichen; so gewis leuchtet der Glanz unserer Kirche weit über den des Hauses Zachäi, wenn wir die Gnade Christi ins Auge faßen. Es ist manch graues Jahrhundert vergangen, seitdem unserm HErrn zu Ehren, zum Heile der hiesigen Gemeine dieß Haus gebaut wurde. Der HErr war beim Bau und als derselbe fertig war, wurde Er angerufen, nicht vorüberzugehen, sondern als der vornehmste Bewohner in demselben einzuziehen. Man weihte Ihm den Altar, um zu Ihm zu beten, von Seiner sanften Höhe Segen und Sakrament zu empfangen. Man weihte Ihm die Kanzel, daß Er durch Seine Knechte gepriesen würde und den Honig Seiner Lehre schenkete, um die Albernen weise, die Traurigen fröhlich zu machen und allerlei geistliche Gabe mitzutheilen; man setzte Ihm einen Brunn der Wiedergeburt, wo Er Seine Säuglinge zu Gottes Kindern machen könnte. Und es gefiel Ihm wohl. Er rief am Tage unsrer Kirchweihe: „Ich muß Heute zu diesem Hause eingehen, heute ist diesem Hause Heil widerfahren.“ Und so zog Er ein und seitdem wohnt Er drinnen. Er wohnt zwar überall und wird nicht eingeschloßen von Tempeln, von Menschenhänden gemacht; aber wenn Er überall wohnt und nirgends eingeschloßen ist, warum soll Er denn von unsern Gotteshäusern ausgeschloßen und sie allein vor allen Orten der Welt ohne Seine Gegenwart sein? Hat Er denn nicht viel mehr gesagt: „Wo Ich Meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will Ich Mein Volk heimsuchen!“? Wo ist Seines Namens Gedächtnis, wenn nicht, wo man Ihm die Lobgesänge und Dankpsalmen singt, wo man Ihm Bitte, Gebete und Fürbitte opfert, wo Sein Wort gelesen, Sein Heil und Sein Ruhm gepredigt, Seine Sacramente verwaltet, Sein Segen und Seine Absolution gesprochen wird? Gewislich ist der HErr an solchem Orte! Da ist die Pforte des Himmels und Gottes Haus. Ich weiß, daß Lobgesang und Psalm

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/525&oldid=- (Version vom 31.7.2016)