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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zu denen zu Seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherberget. 36. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet, Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besuchet. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. 37. Dann werden Ihm die Gerechten antworten, und sagen: HErr, wann haben wir Dich hungrig gesehen, und haben Dich gespeiset? oder durstig, und haben Dich getränket? 38. Wann haben wir Dich einen Gast gesehen, und beherberget? oder nackt, und haben Dich bekleidet? 39. Wann haben wir Dich krank oder gefangen gesehen, und sind zu Dir gekommen? 40. Und der König wird antworten und sagen zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan. 41. Dann wird Er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42. Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besuchet. 44. Da werden sie Ihm auch antworten und sagen: HErr, wann haben wir Dich gesehen hungrig, oder durstig, oder einen Gast, oder nackt, oder krank, oder gefangen, und haben Dir nicht gedienet? 45. Dann wird Er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht gethan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht gethan. 46. Und sie werden in die ewige Pein gehen; aber die Gerechten in das ewige Leben.


 IN dem heutigen Evangelium wird uns der HErr an Seinem Gerichtstag und Sein Gericht vor Augen gestellt. Er kommt, der Menschensohn, also ein milder, barmherziger Richter aus der Mitte der zu Richtenden selber. Er kommt in Seiner Herrlichkeit, also in der Pracht aller der Eigenschaften, welche von Seiner Gottheit auf die Menschheit überströmen, also auch in der Majestät eines allwißenden, untrüglichen, gerechten Richters. Mit Ihm, Seine Ankunft zu verherrlichen und Ihm beim Gericht zu dienen, kommen alle Seine heiligen Engel. Man wird Ihn kommen sehen mit Seinen Heerschaaren, mit denselben, die einst sangen: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Man wird sehen, wie Ihm Sein Thron gesetzt wird, wie Er niedersitzt und in majestätischer, erhabener Ruhe sich anschickt zur letzten That für diese Weltzeit. Auferstehen werden die Todten und die Lebendigen werden verwandelt werden. Die Völker alle mit allen ihren Gliedern, die je lebten, versammeln sich nun vor Ihm. Wie die Aehren zur Aerntezeit dicht stehen auf dem Acker und auf die Sichel warten: so wird die Menschheit stehen. Und nun gibt es ein Gericht, eine Scheidung für alle Ewigkeit. Die Schafe werden von den Böcken, die Frommen von den Gottlosen für immer ausgesondert. Die Schafe heißt der Richter zum Zeichen Seiner Gunst sich zu Seiner Rechten stellen, die Böcke zur Linken. Jenen spricht Er ein himmelsüßes Wort, durch welches ihnen nicht bloß Erlaubnis gegeben wird, Ihm zu nahen, nein, durch welches sie zu Ihm herbeigelockt werden, wie schüchterne Kinder zu ihren Vätern. Oder soll ich es lieber einen Befehl heißen, der, wenn auch mit Zittern, doch auch mit Entzücken vollzogen wird? Ach, daß uns auch dereinst das Wort, dies Wort, welches die Pforten der Seligkeit aufschließt, dies Wort der Gnaden ertönte: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist vom Anbeginn der Welt!“ − Dagegen denen zur Linken, den Böcken, wird ein furchtbares Verdammungsurtheil gesprochen, − ein Urtheil, welches uns hier schon zittern machen kann, deßen volle Schrecken aber nur unter den treffenden Umständen des jüngsten Tages empfunden werden können. „Gehet hin von mir, ihr Verfluchten in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“ Vor dem erschrecklichen Urtheil und seiner Erfahrung bewahre uns Du selber, o Richter der Welt, Lamm Gottes, durch Kraft Deines Leidens und Deiner Auferstehung!


 An die Urtheilssprüche des HErrn schließen sich ausführlichere Erklärungen des Menschensohnes an, welche an Majestät und Größe alles übertreffen, was Menschen von Majestät und Größe ahnen können. Es ist außerordentlich, wie völlig klar das Bild ist, welches uns der HErr vom jüngsten Gerichte gibt!

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/490&oldid=- (Version vom 31.7.2016)