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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

ihn auf eine geschickte Weise an den Mann zu bringen. Sie haben eine Frage gefunden, durch deren Beantwortung es der HErr nach ihrer Berechnung nothwendig mit einer von den im Lande sich streitenden Parteien verderben mußte. Darum sorgen sie, daß Zeugen genug dabei sind, Zeugen von allerlei Art, damit sie hernachmals desto leichteres Spiel haben und den Fall JEsu desto gewißer sehen. Deshalb nehmen sie Herodis Diener mit. Und als sie nun in dieser Begleitung zu JEsu kamen, da folgten sie dem Beispiel ihres Vaters Kain, der auch mit seinem Bruder auf dem Felde freundlich redete, ehe er ihn erschlug. Sie reden freundlich mit dem HErrn, sie loben Seine unbestechliche Wahrheitsliebe, vermöge welcher Er keine Person ansähe, und glauben, nun werde Er unvorsichtig in die Falle gehen und ganz reden, wie sies gerne gehört hätten. Was sie Ihm sagten, war allerdings ganz richtig, Christus war unbestechlich wahrhaftig; es war nur in ihrem eigenen Sinn eine Schmeichelei; aber so ists, hinterlistige Feinde haben oftmals Auge genug, zu erkennen, was am Gegenstande ihres Haßes vortrefflich ist; da sies aber anerkennend und lobend zu sagen zu schlecht sind, so kommts mit einem Zug des Hohns und Spottes aus ihrem Munde, oder sie machens, wie die, von denen wir so eben reden, wie die Pharisäer, sagens wie zur Anerkennung und haben dabei Otterngift unter ihren Lippen. Die Pharisäer hätten sich übrigens die Mühe sparen können; sie stehen vor Dem, der nicht bedarf, daß Ihm jemand etwas von einem Menschen sage, weil Er selbst weiß, was im Menschen ist; sie sind durchschaut, es ist mir, als sähe ich das Auge Deßen, der klug wie die Schlangen war und ohne Falsch wie die Tauben; es ist mir, als sähe ichs, wie elend und erbärmlich sich diese falschen Pharisäer gegen den Hohen und Herrlichen ausnehmen. Ich freue mich schon, diesen Kampf zu sehen, den völlig ungleichen, schnell zu entscheidenden, und wünschte den Unterliegenden, daß ihnen ihr Unterliegen heilsamer geworden wäre, als es ihnen in der That wurde. Laßt den Kampf beginnen und gebet Acht, lieben Brüder, was die Pharisäer sagen. „Sage uns, sprechen sie, was dünket Dich? Ists recht, daß man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?“

 Im jüdischen Lande herrschte zur Zeit Christi der römische Kaiser, zum größten Aerger und Ingrimm der Juden, welche den Verlust eines eigenen Herrschers nicht verschmerzen konnten. Keine Frage konnte aufgeworfen werden, welche unter den Juden eine gespanntere Aufmerksamkeit und eine allgemeinere Theilnahme erregt und gefunden hätte, als die: „Ists recht, daß man dem Kaiser Zins gebe oder nicht?“ Gewis herrschte eine Todtenstille, als die Pharisäer die Frage gethan hatten, und man nun auf Christi Antwort wartete. Insonderheit mochten die Pharisäer selbst lauschen und lauern. Sie glaubten, es könne auf die Frage gar keine andere Antwort geben, als Ja oder Nein. Kam ein „Ja, es ist recht, man muß dem Kaiser Zins geben,“ so konnte, das waren wenigstens die Gedanken der Pharisäer, JEsus nicht mehr länger der Mann des Volkes sein, das nichts mehr wünschte, als Freiheit vom römischen Joche. Kam aber ein „Nein, es ist nicht recht,“ so standen Herodis Diener in der Nähe, welche, wie ihr Herr selbst, bei der Abhängigkeit vom Kaiser, in welcher dieser stand, für des Kaisers Herrschaft eifern mußten; dazu konnte die Antwort des angesehenen Lehrers JEsus vor die römischen Behörden kommen. Gabs nun wirklich keine Antwort, als ja oder nein, so hatten die Pharisäer die Schlinge und Falle gut gelegt und JEsus mußte hineingehen. JEsus verlor entweder die Gunst des Volkes oder Er fiel als Majestätsverbrecher in die Gewalt eines finstern Kaisers und seiner Diener, je nachdem Er Ja oder Nein zur Antwort gab. Nach menschlicher Berechnung wäre in beiden Fällen Seine Wirksamkeit, im letztern auch Sein Leben am Ende gewesen. Wie wird Er sich nun retten, wie ringen, vergeblich ringen, wie wird Er den Pharisäern zur Beute werden, wie werden sich diese nun bald freuen! − Nicht wahr, so muß man fürchten? Nichts zu fürchten, liebe Brüder! Ich wiederhole es, es ist mir, als sähe ich JEsu Auge, wie es Seine Feinde trifft; es ist mir, als sähe ich die elende Stellung, welche diese Christo gegenüber einnahmen! Königlich wird Er siegen und heimschicken wird Er sie, das sag ich euch vorher, daß sie für Schaam und Schande nicht sorgen dürfen.

 Der HErr, der Herzenskündiger, greift, ehe Er noch die Antwort gibt, ins Herz Seiner Feinde, kehrt es um und legt es bloß, daß sie merken konnten, wie ganz offenbar sie vor Ihm waren. „Ihr Heuchler, spricht Er, was versuchet ihr Mich?“ Also weiß Er, was sie wollen, und ihr Thun ist ausgelegt, wie es nur immer ihr eigenes Gewißen hätte auslegen können.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/477&oldid=- (Version vom 31.7.2016)