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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

dann das Leben ein ungerechtes Pochen auf Rechte, ein unerträgliches Trotzen − und ein schauderhafter, stolzer, unversöhnlicher, grimmiger Undank gegen den milden frommen Gott wird Herr im Herzen. Davor behüte uns alle, davon erlöse uns alle der barmherzige und allmächtige Gott.


 Und nun noch einiges vom Segen der Versöhnlichkeit und vom Fluch der Unversöhnlichkeit. Zwar unser Text redet nur vom Fluche der Unversöhnlichkeit, aber warum sollte man nicht gegenüber dem strengen Urtheil Gottes auch den süßen Frieden der Versöhnlichkeit preisen? Reden wir zuerst vom Fluche und gehen dann im Andenken an den Segen in unsere Hütten! Laßen wir uns auch hiedurch abschrecken von der Unversöhnlichkeit und reizen zur Versöhnlichkeit!

 Als der Schalksknecht im Evangelio mit seiner Rechnung um vier und zwanzig Millionen im Rückstand blieb, wollte ihn der König mit allem was er hatte, verkaufen laßen. Als er aber dem großen König das größte Geschenk, das je ein König einem Schalksknecht machte, so fruchtlos abnahm, daß er nicht einmal fünfzehn Thaler entbehren mochte zu Dank und Ehre dem guten König, da geschah, was bei der Rechnungsablage nicht zu lesen ist, da wurde der König zornig. „Der Zorn des Königs ist wie das Brüllen eines jungen Löwen,“ weh dem, welchem er zürnt. Ja, zornig ward der König über den Schalksknecht, er übergab ihn den Peinigern, bis daß er bezahlete, was er schuldig war, d. h. für immer, denn wer will solche Schulden zahlen? So ist also der Zorn Gottes über den Unversöhnlichen größer, als über den Untreuen, größer über den Undankbaren, welcher durch Erbarmen nicht barmherzig wird, als über den, welcher das Gesetz übertritt. Wenn du Vergebung erlangst und dich wieder unversöhnlich und hart erweisest, so kehrt deine Sünde aus dem Meer der Vergeßenheit in das Gedächtnis Gottes zurück, so stellt er sie vor dein Angesicht, so gibt er dir den Befehl, sie nun selbst auszutilgen und ungeschehen zu machen, sie wieder gut zu machen, und das in dem Orte, dahin du gehörst, im Kerker, in der Hölle, deine Peiniger werden nicht feiern und deine Qual nicht ruhen. Und wenn du die Anwendung des Gleichnisses auf deine unruhvolle, sündenvolle Seele nicht magst, so mußt du sie dennoch hinnehmen und richtig finden − und erfahren obendrein, wofern du nicht umkehrst. Denn so spricht der HErr am Schluß des Evangeliums: „Also wird euch mein himmlischer Vater auch thun, so ihr nicht vergebet von euerm Herzen ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.“

 Das ist in kurzen Worten der Fluch des Unversöhnlichen. Gegenüber steht der Segen des Versöhnlichen. Vergeben ist süßer, als Geben. Wer seinem Bruder vergeben kann, hat schon darin eine Freude, größer, als jene, von welcher der HErr spricht: „Geben ist seliger als nehmen.“ Und Vergebensfreudigkeit ist überdies eine Frucht, also auch ein Zeugnis und eine Bestätigung der göttlichen Vergebung. Jeder, der mit Lust seinem Bruder vergibt, darf zu seiner Seele in Demuth sprechen: „Gott Lob, das ist eine Frucht, die nicht meinem eigenen Herzen und alten Menschen entstammt ist; das ist ein Beweis, daß Gott mit mir ist, sonst könnte ich das nicht, − ein Beweis ists, daß meine Absolution in mir lebendig und kräftig ist; mir ist vergeben, denn ich kann vergeben.“ Wenn dieses freudige Zeugnis des heiligen Geistes für unsern Geist auch der einzige Segen der Versöhnlichkeit wäre, so wäre er groß genug und alles Preises werth. Aber Gottes Gnaden kommen nicht allein, jede schließt andere ein, oder folgen sie ihr nach. So ist es auch mit der Bestätigung der Vergebung, welche der Versöhnliche in sich empfindet, so oft er vergibt. Diese Bestätigung hat bei sich Frieden und Gewisheit göttlichen Wohlgefallens. Wer gern und oft vergibt und im Vergeben eine heilige Fertigkeit erlangt, der nimmt im Frieden immer zu. Er weiß ja, daß Gott mit ihm ist, was sollte er fürchten? Keinen Feind unter den Menschen, denn Gott ist mit ihm; keinen unter den bösen Geistern, denn auch sie können Gottes Friedenskindern keinen Sieg abgewinnen; keinen in der Zeit und keinen in der Ewigkeit, denn Gott hat ihnen für Zeit und Ewigkeit vergeben. Des ist Zeuge ihr versöhnliches Herz. Ein solcher hat Frieden im Sterben; gleichwie er sterbend allen Beleidigern vergibt, so ist er auch gewis, daß Gott ihm vergibt. Er hat Frieden und Gewisheit der Gnade beim Eingang ins ewige Reich und am jüngsten Tage, denn er selbst geht ohne Haß hinüber und weiß damit, daß sein Gericht hinausgeht ohne Haß, zum Siege.


Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/475&oldid=- (Version vom 31.7.2016)