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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

und um Vergebung zu bitten! Und wenn euch dann auf die gemeinsame Beichte der Gemeinde die allgemeine Absolution sammt der Retention verkündigt wird; so treffe die letztere keinen, die erstere euch alle und jede, wie wenn ihr einzeln beichtend vor dem Beichtiger stehet, und es ergreife einen jeden von euch nicht bloß der Friede der ihm gewordenen Vergebung, sondern die tiefe Zuversicht, daß alle Schafe JEsu, seine ganze Heerde im Frieden Gottes wohne hie zeitlich und dort ewiglich! Amen.




Am zwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 22, 1–14.
1. Und JEsus antwortete, und redete abermal durch Gleichnisse zu ihnen, und sprach: 2. Das Himmelreich ist gleich einem Könige, der seinem Sohne Hochzeit machte; 3. Und sandte seine Knechte aus, daß sie die Gäste zur Hochzeit riefen; und sie wollten nicht kommen. 4. Abermal sandte er andere Knechte aus, und sprach: Saget den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh ist geschlachtet, und alles bereit; kommt zur Hochzeit! 5. Aber sie verachteten das und giengen hin, einer auf seinen Acker, der andere zu seiner Handthierung. 6. Etliche aber griffen seine Knechte, höhneten und tödteten sie. 7. Da das der König hörete, ward er zornig, und schickte seine Heere aus, und brachte diese Mörder um, und zündete ihre Stadt an. 8. Da sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereitet, aber die Gäste waren es nicht werth. 9. Darum gehet hin auf die Straßen, und ladet zur Hochzeit, wen ihr findet. 10. Und die Knechte giengen aus auf die Straßen, und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute. Und die Tische wurden alle voll. 11. Da gieng der König hinein, die Gäste zu besehen; und sahe allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitlich Kleid an. 12. Und sprach zu ihm: Freund, wie bist du herein gekommen, und hast doch kein hochzeitlich Kleid an? Er aber verstummete. 13. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße, und werfet ihn in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähnklappen; 14. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählet.

 AM zweiten Sonntag nach Trinitatis lesen wir das Evangelium vom großen Abendmahl aus Luc. 14., heute aus Matth. 22. das vom hochzeitlichen Kleide. Beide Evangelien haben vieles mit einander gemein, es findet sich aber auch in beiden manches Verschiedene. Das Gemeinsame und das Verschiedene werden wir finden, wenn wir im Andenken an das erstere den Inhalt des heutigen Evangeliums durchgehen. Es wird uns

 Begeben wir uns sofort zur Betrachtung des dreitheiligen Inhalts unsers Textes.

 1. Zum Himmelreiche gehört, wenn wir alles zusammennehmen, was uns das neue Testament lehrt, die gesammte Zahl der Auserwählten in der Zeit und in der Ewigkeit, ihre Führung und Regierung und alles, was dazu gehört. In den vielen Gleichnissen aber, welche der HErr vom Himmelreich erzählt, wird nicht immer so auf das Ganze gesehen, nicht zusammenfaßend verfahren, sondern bald dieser, bald jener Theil des über Himmel und Erde verbreiteten Reiches besonders ins Auge gefaßt. Bald, wie z. B. im Gleichnis vom Netze, wird die streitende Kirche, bald die triumphirende, bald mehr der Uebergang von beiden, die Grenze zwischen beiden, zum Gegenstande der gleichnisweisen Belehrungen JEsu gemacht. Unser heutiges Evangelium möchte wohl, wenn man deßen Gesammtinhalt ansieht, mehr von der letzten Art sein. Sieht man aber bloß den Eingangsvers des Gleichnisses, den zweiten im

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/461&oldid=- (Version vom 24.7.2016)