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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Befehl für alle Kranke und für alle Aeltesten aller Zeiten. Und folgen denn wir diesem gemeinen Befehle nicht in unsrer Kirche von je her? Gehorchet nicht ihr selbst dem herrlichen Gebote? Rufet ihr nicht in euern Krankheiten oftmals mich, den Aeltesten dieser Gemeine, bete ich nicht über euern Kranken und Sterbenden nach dem Befehle des HErrn durch Seinen Knecht Jacobus? Zwar salbe ich euch nicht mit Oele, aber nur weil es nicht mehr gebräuchlich ist in unserer Kirche, weil ich nichts Misverständliches thun will, weil nicht dem Oele, sondern dem Gebete des Glaubens die Hilfe zugeschrieben wird, weil ich mit Augen sehe, daß weniger das Oel, als das Gebet, daß hauptsächlich und vor allem das Gebet befohlen sei. Zwar werden auch nicht alle Kranke gesund, über denen das Amtsgebet des Aeltesten gesprochen wird; aber irrt uns denn das, zu sehen, wo sie wirklich auf das Gebet genesen? Wenn wir hie und da beten, ohne daß unsers Betens Meinung mit des Kranken wahrem Besten zusammentrifft, wenn wir zuweilen nicht scharf genug sehen, um den Willen Gottes zu erkennen; sind wir in solchen Fällen, obschon uns Gott nicht wörtlich erhört, nicht dennoch beßer erhört, als es unser Gebet verlangte? Und doch, wie oft erhört der HErr wörtlich! wie oft gibt Er Genesung und Vergebung zusammen, wie wir begehren, und erquickt die Elenden wieder, die schon in des Todes Thoren zu stehen vermeint hatten! Wir glauben nicht, wie wir sollen; wir verkürzen uns oftmals die Hilfe. Oft sehen wir Gottes Herrlichkeit nicht, weil wir ein Mistrauen ins Amtsgebet, in den Befehl und die Verheißung desselben setzen. Wenn wir Gebot und Verheißung faßten, wenn wir damit demüthig und voll Zuversicht in Christo JEsu zum Vater beteten; ER würde uns hören, Seine Kirche würde mehr offenbares Zeugnis Seiner Lieb und Gnade, Seines Aufmerkens auf sie, Seiner Treue gegen sie erhalten, sie würde im Glauben gestärkt, die Gemeinschaft, die wir mit Ihm haben, würde lebendiger und seliger werden, und wir würden merken, daß der Ueberblieb der ersten Zeit nicht so klein ist, als es dem ungläubigen und oberflächlichen Beobachter scheint.


 Für wen aber ist dieser Ueberblieb? Das wäre die letzte Frage, die wir heute noch miteinander zu beantworten hätten. Als ich zuvor fragte: „Was ist in unsrer Zeit übrig?“ gieng ich über das beste vom Ueberblieb, über die Vergebung der Sünden mit wenigen Worten weg, weil ich dachte, es würde wohl niemand unter euch allen zweifeln, daß Vergebung und ein Amt der Vergebung bei uns noch vorhanden sei und bis ans Ende der Tage in der Kirche bleiben werde. Dagegen ergieng ich mich länger und weiter in dem Nachweis, daß auch von der Gabe gesund zu machen noch etwas übrig sei, und das trotz des Bewußtseins, daß der Ueberrest von der Gabe gesund zu machen, gegenüber dem Füllhorn der Gnaden, das wir in Vergebung der Sünden haben, nur geringer anzuschlagen sei. Weil dieser Ueberrest weniger erkannt und mit Danksagung gebraucht wird, redete ich länger davon; aus keinem andern Grunde geschah es. Umgekehrt will ich nun bei Beantwortung dieser letzten Frage verfahren. Ich will den Ueberrest von der Gabe gesund zu machen mehr in den Hintergrund treten laßen und hervor trete die herrliche Gabe der Vergebung der Sünde. Von ihr hauptsächlich redet die Frage: „Für wen ist sie?“ obschon auch für die Gnade der erbetenen Genesung manches von dem passt, was wir in der Antwort zu sagen haben.

 Wenn wir von der Gnade der Vergebung insonderheit reden, so ist nicht zunächst die friedenvolle Erfahrung der Vergebung in unserm Innern gemeint; sondern wir meinen die Vergebung, wie sie im Worte zum Menschen kommt, von außen her, von oben her, − die Absolution, wie sie JEsus dem Gichtbrüchigen sprach, wie JEsu Diener, die Träger Seines heiligen Amtes, sie in Seinem Namen, giltig im Himmel wie auf Erden, heute noch sprechen. Wir wollen von dieser äußerlichen Absolution die innerliche Wirkung auf die Seelen nimmermehr geschieden wißen, nicht die Kühlung vom kühlen Hauch der Luft; denn wozu weht denn der kühle Wind, wenn nicht die Hitze zu mindern und wohlzuthun? Aber wir reden diesmal nicht von der innern Wirkung, sondern bleiben bei dem, was wir im Evangelium hören, bei der äußerlichen, gnadebringenden, friedestiftenden Absolution, − und unsre Frage ist ganz eine mit dieser: „Wem gehört die Absolution?“

 So lautet dann die Antwort auch bedeutender, und es wird schnell gefaßt sein, warum sie gegeben, warum hervorgehoben wird. Die Antwort ist: „Die

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/459&oldid=- (Version vom 24.7.2016)